Samstag, 23. Oktober 2010

PIRANHA


Alejandre Aja verfilmt Joe Dantes „Piranha“ neu und formuliert eine zwiespältige Sicht auf die schönen Körper junger Menschen.

Trashfilme sind heutzutage mehr als salonfähig geworden. Regisseure wie Tarantino oder Rodriguez haben den Trash aus seinem Nischendasein befreit. Tarantino kommt seit „Kill Bill“ nicht mehr ohne einen gewissen Trashfaktor aus und Rodriguez zelebriert den schlechten Geschmack ganz ehrlich mit „Planet Terror“ und demnächst „Machete“.

Alejandre Aja hat mit Trash in erster Linie wenig zu tun. Nachdem er die Filmwelt mit seinem umstrittenen Debüt „Haute Tension“ auf sich aufmerksam gemacht hatte, ging er gleich nach Hollywood und inszenierte zwei unterschiedliche Remakes. „The Hills have Eyes“ war die grimmige Neu-Interpretation von Was Cravens zweitem Film, der dazu ein klassischer Vertreter des Mitternachtskinos war. Somit begeben wir uns schon mal in den Dunstkreis des Trash, doch Ajas Film war ein Hochglanz-Remake mit hohem Budget, starkem Retro-Faktor und heftigem Terror-Level. Sein nächster Film „Mirrors“, das Remake eines japanischen Horrorfilms, war wieder Hochglanz-Horror und gleichzeitig Star-Vehikel für Kiefer Sutherland. Die Kritiken fielen überwiegend schlecht aus. Trash war der Film wohl nur aus unfreiwilliger Sicht.

Mit „Piranha“ hat sich eigentlich wenig geändert, wieder ein Remake und wieder Hochglanz. Allerdings, mit der ersten Ankündigung und der darauffolgenden Vermarktung schmückte sich der Film bereits mit dem Trend-Label „TRASH“. Ein Film der so schlecht ist, dass er Spaß macht. Vielleicht war das der Schritt den Aja machen musste um sich von seinen Schatten zu befreien, denn „Piranha“ macht fast alles richtig. Das fängt bei der Besetzung an. Während die absichtlich substanzlosen Hauptrollen mit Null-Gesichtern besetzt werden, verlustiert sich Aja mit den Nebenrollen und fährt mit Ving Rhames, Richard Dreyfuss, Elizabeth Shue, Christopher Lloyd, Eli Roth und Jerry O’Connell einen Cast für Filmfans auf. Sie alle verkörpern stilisierte Klischees und es dominiert mehr die Aura des Schauspielers als die der Rolle. Wenn man sich bedenkt, dass Lloyds Figur nur dafür da ist, um uns zu erzählen was das für Fische sind und was sie machen, dann kann man nur schmunzeln bei so viel offener Verschwendung von Stars.

Das Wort „Trash“ ist zum Label geworden, wobei man sich schon fragen muss, ob Filme mit Multi-Millionen-Budget noch als Trashfilme durchgehen. Das Unterhaltsame am Trash waren doch neben den vielen Geschmacklosigkeiten, besonders das lausige Handwerk und die begrenzten Mittel. „Plan 9 From Outer Space“ ist doch in erster Linie lustig, weil er so schrecklich billig aussieht und aus schlimmen Filmfehlern besteht. „Piranha“ sieht nie billig aus (selbst die Piranhas nicht, das kriegt man noch schlechter hin) und von Filmfehlern kann gar keine Rede sein. Wenn man Aja etwas attestieren muss, dann ist es Talent. Zwar scheint er mir bei dem Film noch reichlich unterfordert, aber seine Montagen, die Dramaturgie und vor allem die Suspense-Szenen funktionieren sehr gut. Nun ja, die Schauspielführung kann man geflissentlich ignorieren. Wäre man ganz kleinlich, dann müsste man „Piranha“ seinen Trash-Status absprechen bzw. man müsste ein neues Genre erfinden in das man alle ironisch-gewollten Mainstream-Trashfilme der letzten Jahre rein packen kann. Letztendlich ist das aber auch egal. Ich weigere mich nur „Piranha“ als Trash zu bezeichnen.

„Piranha“ steht somit weder in der Tradition eines „Jaws“ und schon gar nicht eines „Die Vögel“. Der Film ist als große komödiantische Zerstörung ausgelegt. Überwiegend schlägt sich der Zuschauer auf die Seite der Piranhas und hofft auf das nächstes Gemetzel. Die wenigen und dem Überleben-geweihten Figuren tragen nur ein wenig mehr Unschuld in sich als das Fischfutter und trotz der klischeehaften Blässe, wünscht man ihnen nicht den Tod, was wiederum der Spannung hilft.

Es ist natürlich ziemlich Old-School Sex mit dem Tod gleichzusetzen. Das gibt es schon seit „Halloween“. Amerikanische Jugendliche leben halt nicht lange wenn sie ihr Ding überall rein halten, was mit den Brüsten wippt und mit dem Arsch wackelt. Diese puritanische Einstellung hat man dem Horrorfilm von Seiten der intellektuellen Kritik oft übel genommen. Doch „Piranha“ zelebriert diesen Puritanismus mit einem herrlichen Augenzwinkern, indem er auf der einen Seite dem Zuschauer die Nacktbilder liefert, die er sehen will und auf der anderen Seite das ebenso gewünschte Gemetzel. Die armen Filmfiguren haben also gar keine Wahl. Sie müssen ihre schönen Körper zeigen und sterben sollen sie auch noch. Der Böse ist wie immer der Zuschauer.
Dazu führt Aja mit der Einführung des Porno-Produzenten diesen Puritanismus endgültig ad absurdum, wo es sogar zu einem fast mythischen Liebestanz zweier Nymphen unter Wasser kommt, was Aja dann mit dem „Blumen Duett“ aus Libedes Oper „Lakmé“ unterlegt, was für viele Lacher im Kino gesorgt hat.

Dennoch, ein bisschen Ernst ist auch da mit drin, denn zum einen ist diese Sequenz höchst ästhetisch gestaltet, die beiden Frauenkörper sind sowieso sehr ansehnlich und die Musik fungiert hier wirklich als Ausrufezeichen. Es ist die andere Seite der Medaille, neben der Vernichtung des menschlichen Körpers, hier seine Huldigung. Anders als andere Splatterfilme ist „Piranha“ von einem starken dualistischen Körperempfinden geprägt. Die Hauptattraktion des Splatters liegt natürlich darin zu sehen wie ein lebendiger in-sich-geschlossener Körper seine Integrität verliert. Der Porno dagegen brüstet sich mit den unzensierten Zur-Schau-Stellen von nackten Körpern. „Piranha“ bietet beides, wobei da ein klarer Gedanke hinter steckt.

Der Film verachtet Pornografie, Saufgelage, Rumgebalze und die Arroganz des Schönen. Die Piranhas sind nicht gekommen um das Sündhafte zu vernichten. Sie sollen das mediale Abbild eines kommerzialisierten Schönheitsideals zerstören. Sie machen Schluss mit dem Sehen und Gesehen-Werden, der dümmlichen Hemmungslosigkeit, dem Konsumrausch, den Football-Körpern und Bulimie-Figuren. Die Piranhas sind nicht die Rache der Natur. Die Studs sterben nicht, weil sie Müll in den See schmeißen. Sie sterben weil sie gewissenlos-funktionierende Zahnräder des alles zermalmenden Kapitalismus geworden sind, der mit faschistischer Perversion den menschlichen Körper instrumentalisiert. Die Killerfische führen den Körper wieder zurück zum Ursprung, zum Fleisch und Blut. Nachdem ihm der Penis abgebissen und das Silikon heraus gefressen wurde, zeigt sich der Mensch wieder in seiner ungeschönten, unschuldigen Art.

Man darf diese Wut auf den schönen Körper nicht als grundsätzlichen Hass missverstehen. Ajas Film richtet den Körper zwar hin, aber nur sein pervertiertes Abbild. Letztendlich, und darin zeigt sich der angekündigte Dualismus, bewundert und vergöttert er ihn gleichzeitig, was in dem zuvor beschriebenen Nixen-Tanz gipfelt. Diese Sequenz erinnert absichtlich an die Fresken klassischer Renaissance-Malerei, dazu die klassische Musik. Das humanistische Schönheitsideal wird von Aja ebenso verehrt wie von Michelangelo. Bei dem großen Gemetzel am Yachthafen, fügt Aja nochmals ein ähnlich stilisiertes Bild ein. Man sieht den Körper einer Frau unter Wasser, die von den Piranhas zerrupft wird, was wiederum als Schulterschluss zwischen der klassischen Schönheitsästhetik und dem Splatter-Kino angesehen werden kann.

Den große Vernichtungsrausch der Piranhas inszeniert Aja auch etwas Splatter-untypisch. Anstatt sich nur auf den Fun-Faktor zu verlassen, mischt er noch allerhand Leid darunter. Man kommt nie auf die Idee am Schmerz der Opfer zu zweifeln. Wenn ihre Körper zerrissen, ihnen die Haut vom Schädel gezogen oder die Beine abgenagt werden, dann schreien sie und Aja dehnt viele dieser Momente wodurch viele Tode, trotz ihres komödiantischen Tons, einen grausamen Anstrich bekommen. Das wiederum passt hervorragend zum Dualismus des Films.

„Piranha“ ist ein sehr kurzweiliger Splatter-Film, der trotz seines großen Spaß-Faktors unangenehm grausam bleibt und seiner bescheuerten Handlung ein wenig Sozialkritik beimischt. Vielleicht kommen ja die Barsche des echten Viktoria-Sees mal in die Lage sich diese Anleitung zur Vernichtung des Kapitalismus anzusehen.

Wertung: 7/10


"Piranha 3D"

USA 2010

Alejandre Aja

mit Steven R. McQueen, Elizabeth Shue, Jerry O'Connell


Nur im Kino!



Donnerstag, 21. Oktober 2010

THE FOUNTAIN


In seinem 3. Film lässt Aronofsky Hugh Jackman und Rachel Weisz nach der ewigen Liebe suchen und findet doch nur triefenden Kitsch.

Kino hat selten mit Schauwerten zu tun. Bei allem was gezeigt wird, interessiert oftmals mehr das, was nicht gezeigt wird. Es gibt ja den geläufigen Begriff "unverfilmbar". Das ist Quatsch. Unkreative Menschen ohne Fantasie bezeichnen Filmstoffe (z.B. Romane) dann als "unverfilmbar", wenn das geschriebene Wort nicht direkt -ohne interpretative Umwege- in Bilder umsetzbar ist. Das wird gerne bei komplexen Gedanken oder Sinneseindrücken fern der Augen und der Ohren behauptet. Warum schafft es aber eine Feder dies darzustellen? Weil sie verwandelt, interpretiert und abstrahiert. Wörter sind nichts anderes als Abstraktionen der Wirklichkeit. Die guten Filme wandeln das "Unverfilmbare" in Bilder um, die nicht nur zeigen, sondern eher anregen zum inneren Sehen. Es geht nicht wirklich um das, was ich sehe, sondern eher um das was das Gezeigte in mir auslöst. Nur so gelingt es das nicht-gegenständliche, das metaphysische, das surreale zu verfilmen.

Würde man das Drehbuch zu "The Fountain" lesen, käme schnell das Wort "unverfilmbar" in den Sinn. Wie schon gesagt, das ist Quatsch. Man hat verschiedene Möglichkeiten es darzustellen. Aronofsky hat es falsch gemacht. Gerade die Zukunftsepisode entbehrt jeglicher Interpretation. Sie besteht aus hohlen Bildern, die Sinn ergeben sollen. Die esoterische/buddhistische Bildsprache trieft vor Kitsch, da der Regisseur versucht mit bewährten Tricks das Unzeigbare zu zeigen. Selten wagt es der Film seine wahrhaft großen Themen filmisch zu umschreiben, sie verständlich zu interpretieren. Er zeigt sie einfach mit allen Mitteln der CGI-Technik. Wie ein kleines Kind, was mit Buntstiften Gott malt. Wen interessiert das schon?

Nur in der Gegenüberstellung der 2 weiteren Epochen gelingen die guten Momente des Films. Wenn Aronofsky z.B. ein und die selbe Kamerabewegung 3-mal benutzt. Da ergeben sich Gleichnisse und Umschreibungen zu denen nur der Film in der Lage ist.
Trotz des hohen Budgets kommt das Szenenbild eher kläglich daher. Vieles wurde nachträglich digital eingefügt um sich die teuren Studiobauten zu sparen. Dabei hätte eine Waldlichtung mehr den südamerikanischen Dschungel ganz anders aussehen lassen.

Es gibt eigentlich nur eine Szene, die filmisch gelungen ist. Das ist die Audienz bei der spanischen Königin, der edle, geheimnissvolle Thronsaal mit den vielen hängenden Kerzen, den Säulen und dem Käfig der Königin, Rachel Weisz Gesicht hinter den Mustern, wunderschön. Obwohl der Dialog zwischen Herrscherin und Ritter rein handlungsoriertiert bleibt und schwerlich als Poesie bezeichnet werden kann, zeigen die beiden Hauptdarsteller hier ihr wahres Können. Eine tiefe innige Verbundenheit, eine Liebe, die keine sein kann, das alles vermitteln die beiden Schauspieler nur über ihre Augen und Aronofsky findet die richtigen Bilder sie in Szene zu setzen.

Es ist schade wie vergeudet der Rest des Films dabei wirkt, mit seiner schwerfälligen Symbolik und aufdringlichen Ernsthaftigkeit. Hier sind eindeutig die Regie-Pferde mit Aronofsky durchgegangen. Einzig die Filmmusik bleibt auf hohem Niveau und arbeitet mit der angemessenen Abstraktion. Sie vermittelt ohne zu zeigen.

Wertung: 4,5/10


"The Fountain"
USA, CH, 2006
Darren Aronofsky
mit Hugh Jackman, Rachel Weisz, Ellen Burstyn


Auf DVD und Blu-Ray erhältlich!


Sonntag, 17. Oktober 2010

THE SOCIAL NETWORK


Nach dem seltsamen Durchfall des „Benjamin Button“, ergründet Fincher das Web2.0 aus einer ganz irdischen Perspektive.

Es scheint gerade einen neuen Trend unter den Kritikern zu geben. Das ist mir im Zuge der überschwänglichen Rezeption von Finchers neuem Film „The Social Network“ aufgefallen.
Hier und da liest man, dass Finchers größter Verdienst darin liegt, dass er sich selbst so weit wie möglich zurückgenommen hat. Das wird dann als Reife interpretiert. Ja, „The Social Network“ sei Finchers bisher reifste Regiearbeit. Reifeprüfung bestanden, folgt nun der Highway to boredom? Denn wenn sich inszenatorische Reife im reinen Reduzieren filmischer Mittel zeigt, dann kann ich getrost auf reife Filmemacher verzichten.

Natürlich „The Social Network“s Stärken liegen im großen und ganzen in seinem Reduktionismus, nur Fincher wirkt nicht so als wäre er reifer geworden (das war er vorher schon). Allerdings hat sich die Regie auch hier und da Schwächen geleistet und das dominante Drehbuch von Aaron Sorkin nicht genügend in die Schranken gewiesen, Beispiel gefällig? Sorkin scheint mehr mit dem Theater verwurzelt als mit dem Kino. Das zeigt sich positiv in seinen langen und dichten Dialogen, aber das zeigt sich auch negativ im vollkommenen Ausblenden einer Bildebene. Als Sean Parker von Facebook erfährt, schreibt er sich die Kontaktdaten von Mark Zuckerberg auf. Anstatt Fincher das einfach filmt, kann ja nicht so schwer sein, Sean holt einen Stift raus und schreibt sich den Namen auf, nur zwei simple Einstellungen und der Zuschauer weiß was Sache ist. Nein, Sorkin lässt Parker so etwas sagen wie „Ich finde dich Mark Zuckerberg.“ Wohlgemerkt, es ist niemand im Raum. Er spricht also zu sich, führt Selbstgespräche, passt auch zur Rolle, dennoch handwerklich spricht er es zum Publikum, was übersetzt heißt: „Hey, die Kamera bleibt die ganze Zeit auf meinem Gesicht und kann jetzt nicht zeigen, wie ich einen Zettel raus hole und den Namen aufschreibe. Wir wollen weniger filmische Mittel einsetzen, dass ist unser Stil.“ Der Film hat öfter solche Momente, wo manche Sätze etwas deplatziert wirken und man mehr auf Bilder hätte vertrauen müssen.

Wie eben erwähnt scheint das dem Stil geschuldet zu sein. Ich schätze Fincher und Sorkin so reif ein, dass sie wissen was sie tun. Ich respektiere jeden Stilwillen, wenn er angebracht ist und auch durchgezogen wird. Nur leider leistet sich Fincher im Mittelteil eine rein filmische, hervorragend montierte und brillant fotografierte Sequenz eines Ruderbootrennens, was stellvertretend für die Niederlage zweier reicher (aber amüsanter) Zwillingsschnösel dienen soll. Das ist natürlich super gemacht. Ich liebe solche Sequenzen und ich finde sie auch wunderbar passend. Allerdings wenn sich Fincher schon so was leistet, warum kann er nicht auch dem Autor erklären, dass man innere Monologe besser für sich behält?

Ansonsten hat Mr. Sorkin einen großartigen Job geleistet, sei es bei der Erzählstruktur des Films, den messerscharfen und schnellen Dialoge, den subtilen Charakterisierungen oder der gründlichen Recherche. Da Fincher und Sorkin beide nicht zur Generation der „digital natives“ gehören, verwundert es nicht, dass sie sich herzlich wenig für das eigentliche Facebook interessieren. Zwar strotzt der Film immer noch vor technischen Vokabeln und Computerbildschirmen, aber das ist nie so wichtig wie das soziale Geflecht zwischen den Figuren.

Darum geht es schließlich in „The Social Network“. Es mag schade sein, dass die eigentlich laufende Datendebatte und Privatsphären-Demontage es nicht in den Film geschafft haben und wenn dann nur am Rande, aber es ist wirklich so, dass Mark Zuckerberg ebenso ein Spülmittel hätte erfinden können, der Film wäre fast derselbe.

Sorkin hat sein Drehbuch gründlich von allem Zeitgeist entschlackt und es auf die universalen Themen Freundschaft, Verrat, Neid und Gier reduziert, der Stoff aus dem große Dramen sind. Dabei begeht er nie den Fehler der Dichtung die Führung zu überlassen. Das Melodram gewinnt nie die Oberhand. Die Konflikte bleiben subtil, realistisch und im historischen Kontext nachvollziehbar. Dadurch zeichnet „The Social Network“ natürlich ein präzises Bild unserer Gesellschaft. Historisch wird das ganze aber erst in 20 Jahren interessant sein.

Auf der reinen dramaturgischen Ebene ist Sorkins Buch schon ein Meisterstück. Ohne das es eine dramatische Fallhöhe für die Protagonisten gibt, niemand ist in Gefahr zu sterben oder alles zu verlieren, ist der Film ein Thriller, was die Spannung betrifft. Die zwei Stunden vergehen wie im Flug, da permanent die Aufmerksamkeit des Zuschauers gefragt ist, sei es aufgrund der komplexen Erzählstruktur oder der schnellen Dialoge. Sorkins Texte gaukeln uns stets vor, dass es um überlebenswichtige Dinge geht. Nun gut, wir wissen Facebook wird ein Milliardengeschäft, aber überlebenswichtig? Hier arbeitet ein Autor perfekt im Geiste des Publikums, manipulativ und höchst effektiv.

Auffällig bleibt doch, dass bis auf Zuckerberg, die restlichen Figuren relativ oberflächlich behandelt werden, was bei fiktiven Figuren grässlich werden kann. Bei realen Personen fände ich es dagegen anmaßend ein komplettes psychologisches Profil zu skizzieren, was dann ohnehin nicht authentisch ist, da man den Leuten ja schlecht in die Köpfe gucken kann. Als Autoren-Gott kann man seine fiktiven Figuren psychologisieren wie man will, lebende Personen genießen da doch eine gewisse Immunität. Auf der anderen Seite deutet Sorkin auch viel an und überlässt gleichzeitig viel dem Zuschauer, der sich ein eigenes Bild von Zuckerberg, Parker und Saverin bilden kann.

Betrachtet man Finchers letzte Werke, „Benjamin Button“ und „Zodiac“, so ist auffällig, dass die Handschrift der Drehbuchautoren sichtbarer geworden ist. Bei „The Social Network“ hat sich das noch verstärkt, denn eigentlich ist das ein „Fincher/Sorkin Picture“.
„Zodiac“ skizzierte noch viel präziser ein historisches Bild und baute stark auf das faktenreiche Drehbuch von James Vanderbilt. In „The Curious Case on Benjamin Button“ zeichnete sich Eric Roth („Forrest Gump“) als Autor verantwortlich, wodurch der Film ja so schrecklich wurde. Die Autorenkräfte werden stärker. Indirekt proportional scheint dagegen Finchers Handschrift zu schwinden, was ja, wie eingangs erwähnt, viele Kritiker als Reifezeugnis miss-interpretieren.

Finchers Handschrift ist immer noch gleichstark. Wenn es einen Film gibt, der wenig Fincher in sich trägt, dann ist es „Alien 3“. Zwar besitzt dieser Film die schon charakteristische Bildsprache, aber inhaltlich hat der Film wenig mit Fincher zu tun. Ich finde es wichtig zu erkennen, dass sich die Handschrift eines Regisseurs nicht nur in seinen Bildern zeigt, sondern auch in der Wahl seiner Inhalte. Im Zentrum von Finchers Filmen steht meistens eine kranke Seele. Dazu kommt das seine Helden meistens im Doppelpack auftreten, siehe „Fight Club“, „Sieben“, „Zodiac“, „Panic Room“. Eigentlich dreht er Buddy-Movies. Darin steckt natürlich, ähnlich wie bei Cronenberg, eine Idee der Dualität, jede Figur, je eine Seite einer Medaille. Natürlich sind das keine festgelegten Zutaten für einen Fincherfilm. Es sind Indizien und Fincher selbst befolgt sie mal mehr mal weniger. Sicher ist, dass sich alle Filme von ihm inszenatorisch ähneln und das er seinen Stil zwar auf jeden Film anwendet, ihn aber nach dem Inhalt modifiziert.

Wichtig zu nennen wäre auch das Element der Kamera. Lange bevor Fincher Kinofilme drehte, hatte er die Zeit sich einen visuellen Stil zu erarbeiten. Interessant scheint schon mal, dass er nicht immer mit dem selben Kameramann arbeitet, Alex Thomson (Alien 3), Darius Khondji (Sieben, Panic Room), Harris Savides (The Game, Zodiac), Jeff Cronenweth (Fight Club, The Social Network), Claudio Miranda (Benjamin Button).
Während Khondji eine stilisierte (und manchmal sich verselbstständigende) Kamera bevorzugt, arbeitet Cronenweth gerne mit statischen Perpsektiven und einem hohen Grad an Tiefenunschärfe. Savides dagegen ist ein Grafiker. Er sucht gerne die Symmetrie und Parallelen, was solchen Filmen wie „The Game“ und „Zodiac“ sehr entgegenkam.

Film bleibt also eine Gemeinschaftsarbeit und die Auswahl des Teams entscheidend für seine Gestalt. Hitchcock drehte fast immer mit dem selben Team und seine Filme ähnelten sich stilistisch dementsprechend, was vom Großmeister, der laut Truffaut stets den gleichen Film gedreht hatte, natürlich beabsichtigt war.
Fincher ist anders. Seine „camera stilo“ ist wandelbarer, was solch unterschiedliche Filme wie „Panic Room“ und „Zodiac“ zustande brachte. Das waren ja auch inhaltlich sehr unterschiedliche Filme. „Panic Room“ hätte man nie so reduktionistisch wie „The Social Network“ oder „Zodiac“ drehen können. Das wäre eine Maske gewesen, die dem Film nicht gut gestanden hätte. Fincher war also nicht „unreif“ als er „Panic Room“ gedreht hat.

Ein anderes Beispiel sind seine zwei Serienkiller-Filme, „Sieben und „Zodiac“. Thematisch ähnlich, aber grundverschieden umgesetzt. „Sieben“ war eine Versuchsanordnung, eine Drehbuchkonstruktion, rein fiktiv also, mit einem ständig verregneten New York, aufwändigen Décors, einem tickenden Metronom und einer U-Bahn, die durch die Wohnung rauscht. So was wird erfunden und artifiziell fotografiert. Dagegen „Zodiac“ als detailgetreue Rekonstruktion mit einem Kaleidoskop-artigen Figurenreichtum, trockener Bildsprache und vielen Fakten. Zwar behandeln beide Filme die Ohnmacht der Polizei gegenüber einem kranken Genie, aber dadurch, dass das eine frei erfunden und das andere wirklich passiert ist, fällt die Umsetzung so unterschiedlich aus.

Finchers nächstes Projekt wird die Verfilmung von Stieg Larsons „Verblendung“, einem fiktiven Roman mit klassischer Kriminalhandlung. Dieser Film wird sich enorm von „The Social Network“ absetzen, ebenso von „Zodiac“. Man kann etwas in Richtung „The Game“ erwarten, denke ich. Was heißt das? Fincher wird wieder unreif und infantil? Natürlich nicht, er macht einfach sein Ding und das macht er verdammt gut.

Wertung: 8/10


"The Social Network"

USA, 2010

David Fincher

mit Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake


Nur im Kino!



Sonntag, 3. Oktober 2010

ENTER THE VOID


Gaspar Noés neues Grenzwerk beginnt als beeindruckende Meditation über filmische Wahrnehmungen und endet leider im blanken Manierismus.

Ganze acht Jahre ist es schon her, dass der französische Experimentalfilmer Gaspar Noé mit „Irreversibel“ die Kinowelt in Aufruhr versetzte. Der konsequent rückwärts-erzählte Film untersuchte Gewalt-Mechanismen im Kontext einer unaufhaltsamen Schicksalsspirale.

Der Kameramann Benoit Debie gestaltete den Film als quasi lückenlose Gesamterfahrung, die durch unsichtbare Schnitte den Eindruck einer kompletten Plansequenz ergab. Dazu tritt die Kamera hier stets als Subjekt auf, was nicht heißt, dass der Kamerablick dem Blick einer handelnden Figur gleichkommt, viel eher wird man sich der Kamera immer wieder bewusst gemacht. Durch auffällige Schwenk-, Neig- und Kreisbewegungen kommt man als Zuschauer gar nicht umhin nicht auf die Kamera zu achten. Sie existiert als sichtbares Fenster zur Filmwelt.

Bei „Irreversibel“ spielte die Kamera in der ersten Hälfte verrückt und bewegte sich so als würde sie dem Publikum die Orientierung verweigern. Erst allmählich wurde die sie immer ruhiger bis sie zum Schluss nur noch dokumentarisch auftrat.

Ein engagiertes Kamera-Konzept hat auch „Enter the Void“ zu bieten und auch hier zeigt sich Debie für die Gestaltung verantwortlich. Während die Kamera in „Irreversibel“ nur subjektiviert war, wird sie in Noés neuem Film wirklich zu einer Subjektiven, nämlich zum Blick der Hauptfigur.

Oscar lebt in Tokio und verdient sein Geld als Drogendealer. Mit dem Geld will er zudem seine Schwester zu sich holen. Beide wurden als Kinder getrennt als die Eltern bei einem Unfall starben. Doch sie gaben sich das Versprechen immer für einander da zu sein. Die Wiedervereinigung der Geschwister kann aber nur schwer das frühkindliche Paradies zurückbringen und so werden die beiden vom Nachtleben Tokios aufgesogen.

Der Film teilt sich drei Teile und untersucht verschiedene Bewusstseinsströme. Zu Beginn sehen wir konsequent aus der Perspektive Oscars, sogar das Augenblinzeln wird durch Abdunkeln der Leinwand dargestellt. Alles scheint in Echtzeit abzulaufen, wodurch das subjektive Zeitgefühl durch einen gelegentlichen Drogenrausch Oscars stark verändert werden konnte. Dieser erste Teil entspricht der visuellen Gegenwartswahrnehmung eines jeden Menschen.

Im zweiten Teil ändert die Kamera nur leicht ihre Position. Sie stellt sich direkt hinter Oscar und nimmt seinen Hinterkopf ins Bild. Nur durch eine kleine Veränderung der Position ändert sich der Bildeindruck erheblich. Die Kamera ist nun objektiv, aber nur im Bezug auf die gedankliche Version Oscars. Denn wie sich herausstellt ist auch diese Perspektive eine Subjektive. Es ist der Blick Oscars der sich erinnert, dessen Leben an ihm vorbeirauscht. Hier darf der Film ja nun unvermittelt in der Zeit springen, ein Lidschlag, eine andere Erinnerung.

Im letzten und längsten Teil des Films bleibt die Kamera zwar subjektiv, sie zeigt nur nicht mehr die Perspektive eines lebenden Menschen, sondern wird zum Auge einer wandernden Seele, die nun die Hinterbliebenen beobachtet. Hier wird die Kamera nun endgültig entfesselt. Debie durchdringt mit seiner Linse Häuserwände, menschliches Fleisch, kann in luftige Höhen gleiten und mit Lichtquellen durch die Zeit reisen.

Noé geht es natürlich hauptsächlich um diesen Teil. „Enter the Void“ möchte den Tod erfahrbar machen oder viel eher die Suche der Seele nach Reinkarnation. Dabei bietet der Film gerade in den ersten beiden Stücken seine stärksten Momente. Denn hier nimmt sich zum ersten Mal ein Filmemacher die Zeit sich mit subjektiver Wahrnehmung im Film auseinander zu setzen.

Der 1947er film noir „Lady in the Lake“ von Robert Montgomery hat Noé persönlich sehr beeinflusst. Schon dieser Film wurde komplett aus der Subjektiven des Helden erzählt. Laut Wikipedia soll dann noch eine Portion Pilze nachgeholfen haben, wodurch Noé auf die Idee kam seinen Jenseits-Film auch aus dieser Perspektive zu erzählen.

Es liegen dennoch zwischen beiden Filmen Welten. Obwohl beide eine kohärente Geschichte erzählen, bewegt sich das klassische Vorbild auf weitaus konventionellerem Terrain. Denn Noés strenge Durchführung seines formalistischen Konzepts kann sich nie die Freiheit erlauben Kompromisse gegenüber der Handlung einzugehen, was gerade im späteren Verlauf dem Film enorm viel Wind aus den Segeln nimmt.

In den ersten beiden Teilen des Films wird sehr eindrucksvoll klar inwieweit die Subjektive im Kino bekannten Wahrnehmungsbildern ähnelt. Lässt man sich darauf ein so kann man als Zuschauerperson gänzlich verschwinden und sich komplett in der Perspektive des Protagonisten verlieren. Meine Kinobegleitung kommentierte das äußerst punktiert und mit einem leichten ironischen Unterton am Ende der Vorstellung: „Ich hatte schon die Befürchtung, ich selbst würde vergessen zu blinzeln, da das ja der Film schon für mich erledige.“

Obwohl fast abwesend lohnt sich gerade zu Beginn ein genauer Blick auf den Schnitt. Denn auch wenn die eigene Subjektive keine Ortswechsel und Zeitsprünge erlaubt. So arbeitet Noé mithilfe des imtierten Lidschlags an einem klaren Schnittrythmus. Denn jede mikrosekündliche Ab-und Aufblendung der Leinwand erzeugt Brüche in der Zeitwahrnehmung, was Noé meisterhaft zum kaum bemerkbaren Raffen der Handlung nutzt (z.B. der Weg von Oscars Wohnung ins Void).

So ist es doch auch in der Realität. Nicht nur das die eigene Wahrnehmung um ca. eine halbe Sekunde verzögert ist, da unser Gehirn die Sinneseindrücke erstmal verarbeiten muss, nein, auch unser Lidschlag gleicht einer Montage, nicht nur visuell sondern auch mental.

Wenn man Schauspieler mal genauer beobachtet, dann sieht man wie sie ihren Text in Gedankenpakete aufteilen, die je nach Aktion und Reaktion aufgegriffen und verworfen werden. Dieser Gedankenwechsel wird meistens durch einen Lidschlag unbewusst sichtbar. Deshalb nutzen so viele Cutter auch den Lidschlag als Moment eines Perspektivenwechsel, ein Lidschlag, ein neuer Gedanke. Dadurch kommt es realtiv selten vor, dass man Schauspieler in Filmen blinzeln sieht.

Nun bei „Enter the Void“ ist der Lidschlag nicht nur sichtbar, er fragmentiert, er strukturiert, er täuscht. Wirklich klar wird dieses Konzept im zweiten Teil des Films, wenn Noé den retrospektiven Blick Oscars mithilfe der Lidschläge wandern lässt, bei jedem Blinzeln, eine andere Erinnerung.

Im letzten Teil verschwindet der Lidschlag von der Leinwand. Eine Seele hat keine Augen mehr, aber sie scheint noch einen Blick und somit eine Subjektive zu haben. Hier betritt der Film metaphysische Gefilde, die nicht mehr der eigenen Wahrnehmung gleichen. Ab hier strukturiert sich der Film nur noch in vereinzelte Episoden, die durch Zeitsprünge getrennt sind.

Ohne den Lidschlag muss Noé ab jetzt alles so wirken lassen, als würde es in Echtzeit geschehen. So impliziert jede Reise an einen anderen Ort, eine Kamerafahrt durch Häuserwände und über Dächer. Wie schon zuvor beschrieben ist das bei einem Zeitsprung weitaus komplizierter. Hier greift Noé auf einen Trick zurück und behauptet einfach, die Seele könne mithilfe von Lichtquellen Zeit überbrücken (Ähm ja...). Schlecht sieht das ja auch nicht aus. Die enorme Weitwinkel-Verzerrung beim Vertigo-Effekt vor dem Eintritt ins Licht, sieht sehr gut und suggestiv aus, doch nach dem 10. Mal wird es hohl.

Da sind wir schon bei der größten Schwäche von „Enter the Void“. Noé hat sich ein so strenges stilistisches Konzept auferlegt, dass es unmöglich eine Handlung füllen kann. Besonders, da die wirkliche Handlung erst mit dem letzten Teil anfängt. Alles davor war nichts anderes als eine beeindruckende Exposition. Eigenartigerweise scheint Noé die Story wichtig zu sein oder die Figuren jedenfalls. Allerdings trifft das nicht auf den Zuschauer zu, der die 80 Minuten davor mit effektivem Wahrnehmungskino geplättet wurde.

Abgesehen davon, dass sich eine Subjektive überhaupt nicht zur Identifizierung eignet, auch wenn man das zuerst denken mag. Am besten identifiziert sich das Publikum mit Filmfiguren, die sie objektiv verfolgen und beobachten können. Auf der anderen Seite eignet sich ein Drogendealer sowieso schlecht als Sympath. Aber auch die anderen Figuren kommen durch die strenge Kameraarbeit, die meistens von oben filmt, schlecht rüber. Ein Mitfühlen und Fiebern wird somit absichtlich verhindert.

Was bleibt ist eine uninteressante Handlung, die an einem mit den immer gleichen Manierismen vorbeirauscht. Über 80 Minuten wird dem Zuschauer nichts neues, nichts einnehmendes oder folgenswertes geboten. Gerade zum Schluss wird es schlimm, wenn Noé eine Reihe von Sexszenen zeigt, die durch digital-leuchtende Genitalien reichlich verkitscht werden.

Ich will gar nicht gegen die experimentelle Seite des Films wettern. Das Problem sind nicht die avantgardistischen Formspielereien, sonder eher die Handlung. „Enter the Void“ glaubt bis zuletzt eine Geschichte erzählen zu müssen, was er gar nicht nötig hat. Dadurch dehnt sich der Film unerträglich und endet genauso unvermittelt wie er begann.

Vielleicht hätte ein bisschen weniger Melodram und ein bisschen mehr „Letztes Jahr in Marienbad“ gut getan. Gute Experimente brauchen sich nicht mit kitschig-konventionellen Plots beim Mainstreampublikum einschleimen. Das hatte der schlechtere „Irreversibel“ sogar „Enter the Void“ vorraus.

Ich bin zwar kein großer Fan von Gaspar Noé, aber beginnend mit dem heftigen Opening bis zur Hälfte des Films wird ein intellektueller Mindfuck geboten, der sich gewaschen hat. „Enter the Void“ ist Noés bisher bester Film und ein Fest für die Sinne.

Wertung: 6,5/10

Nur im Kino!


"Enter the Void"

FR, 2009

Gaspar Noé

mit Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy