Montag, 31. Januar 2011

TRON: LEGACY


Disney setzt nach fast 30 Jahren einen seiner kultigsten Flops fort. Das technische Update tut dem Film dabei überaus gut, doch inhaltlich bewegt sich nichts.

Kevin Flynns 27-jähriger Sohn Sam ist auf der Suche nach seinem Vater, den er nur noch dunkel aus Kindheitserinnerungen kennt. Als er eines Tages einem Signal aus dem alten Büro seines Vaters nachgeht, wird der junge Rebell plötzlich selbst Teil der Computerwelt, in die sich sein Erzeuger schon vor Jahrzehnten geflüchtet hat. Diesmal ist es Sam Flynn, der sich in einer Welt zurechtfinden muss, die er allemal aus einem Spielautomaten kennt. Allerdings bedeutet ein Game Over in der digitalen Welt, auch das endgültige Aus für den Spieler selbst.

Die erste Frage, die mir beim Abspann von "Tron: Legacy" in den Kopf schoss, war: "Was haben die fünf Typen gemacht, die sich die Story ausgedacht haben?" Sie haben den Film praktisch kaputt gemacht. Nicht, dass ich bei dem Film eine tiefgehende Handlung erwartet hätte, aber das was uns "Tron: Legacy" präsentiert, ist weder Fisch noch Fleisch. Eigentlich gab es doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder, ich setze mich möglichst halbwegs ernsthaft mit meinem Thema auseinander, so wie das "Tron" getan hat, oder ich vertraue auf fast 30 Jahre Computer-Entwicklung und lass einen Optik-Porno vom Stapel, der sich gewaschen hat.

Joseph Kosinski und Autoren entscheiden sich irgendwie für den lausigen Mittelweg. Statt der Vision einer digitalisierten Welt, liefert uns der Film einen Fantasy-Roman in Neon-Optik, so belanglos wie ironiefrei. Da ist von Völkermord, Auserwählten und Jules Verne die Rede. Das alles wird bierernst durchgekaut und dennoch wirkt es so, als ob die Autoren keinen Bock auf den Film gehabt hätten. Am Anfang traut man sich ja schon ein bisschen augenzwinkernde Kapitalismuskritik, aber eben die ist auch so billig und doof, dass man nur schnellstmöglich in die fröhlich blaue Neon-Mittelerde-Welt will.

Habe ich eigentlich schon die grandiosen Figuren erwähnt? Da gibts den irgendwie rebellischen Helden und die irgendwie unschuldige, aber toughe Prinzessin, dazwischen sitzt Jeff Bridges als alter Guru und irgendwie böse ist dann noch so ein digital restaurierter Jeff Bridges mit nem coolen Mantel, aber ohne Hirn. Wie schon gesagt, brauche ich bei einem Film wie "Tron: Legacy" differenzierte Figuren? Nein, aber wenn schon, dann nur so wenig öde Dialogszenen wie möglich, aber unsere 5 Autoren von der Tankstelle wurden wohl nach Sprechzeilen bezahlt und so gibt es einfach viel zu viele und vorallem viel zu lange lahme Dialoge, inklusive Poesiealbumssprüche. Das nahm selbst der pornösen Optik den Reiz und sorgte im Mittelteil des Films für reichlich Slowdown.

Eigentlich gibt es nur zwei Figuren die den wahren Geist von "Tron" atmen. Das wären zum einen die sirenenhafte Beau Garrett, dessen blonde programme fatale den Film nicht nur visuell enorm aufwertet, sondern auch zeigt, wie man mit wenig Worten schauspielerisch Atmosphäre erzeugt. Dagegen kann Olivia Wilde als einzige weitere Frau nicht konkurrieren. Garrett ist filmisch. Wildes Figur funktionierte vielleicht mal auf dem Papier. Michael Sheen bietet dann den zweiten und letzten Charakter ohne Fremdscham-Potenzial. Sein Zuse ist eine Mischung aus Ziggy Stardust und Jim Carreys Riddler, eben ganz und gar ein Dandy, Spieler und Verräter. Auch hier reicht die Oberfläche vollkommen aus um filmisch zu wirken.

Inhaltlich ist "Tron: Legacy" also wirklich die Gurke, die viele erwartet haben, doch man hätte auch einfach ehrlich sein können und der Handlung so wenig Raum wie möglich einräumen können. Ich hätte mich nie daran gestört, wenn man mir nur einen Effekt-Clip nach dem nächsten durch die Augenhöhlen geblasen hätte, ehrlich gesagt, wäre es genau das, was ich mir von dem Film erhofft hatte. Nun gut, man soll ja nicht über zerbrochene Eier weinen, mal sehen zu was für ein Omelett "Tron: Legacy" dennoch taugt.

Daft Punks Soundtrack erinnert in seinen schwächeren reinen Score-Elementen an die Konserve-Musik eines Hans Zimmers, doch gibt es trotzdem eine Menge Highlights fürs Ohr. Neben dem elektrifizierenden "Derezzed", gefiel mir das "Adagio" besonders gut, das man während des Films leider nur bei einer der vielen lausigen Dialoge säuseln hört. Auch andere überwiegend eletronische Score-Flächen sind überaus passend und atmen den typischen Daft-Punk-Charme.

Natürlich darf man bei einer Kritik zu "Tron: Legacy" die Optik nicht vergessen. Eigentlich hasse ich dieses Wort. Eine Optik ist für mich ein Objektiv, aber in den letzten Jahren steht der Begriff auch öfter für die visuelle Gesamtgestaltung eines Films, was traurigerwiese oft über alles andere gestellt wird. Bei "Tron: Legacy" muss das aber mal so sein und ich werde auch das Wort Optik benutzen. Stil passt nicht, da der Film einfach keinen Stil hat. Dafür ist er zu fahrig und überladen. Dennoch, man bekommt eine formidable Optik geboten. Zwar funktioniert die Gestaltung immer nach dem gleichen Schema -solange irgendwo Neonröhren hängen ist es Tronig- aber das reichte mir vollkommen aus. Der Look ist herrlich retro und ein reiner Designfetisch. Angefangen von Jeffs "2001"-Gedächtnis-Bunker bis hin zu den fliegenden Zügen, die wie Kampfschiffe der Protoss aus "StarCraft II" aussehen. Letztendlich soll alles nur cool aussehen und das gelingt "Tron: Legacy" auch. Selbst 3D macht hier Sinn. Ähnlich wie in "The Wizard of Oz" setzt Kosinski den Effekt erzählerisch ein. Unsere menschliche Welt ist 2D, sobald der Film in die digitale Welt verschwindet, eröffnet er uns die dritte Dimension. Unterm Strich ist das zwar auch nur ein Gimmick, aber schon ein sehr wertvolles.

Um "Tron: Legacy" so gut es geht zu genießen, sollte man sich auf keinen Fall Gedanken über die ausgelassenen Möglichkeiten der Autoren machen. Allein wenn man daran denkt zu was für einem Zeit-Kommentar der Film fähig gewesen wäre, man braucht sich doch nur an die Facebook-Folge bei "South Park" erinnern. Egal, als überlanger Effekt-Porno funktioniert "Tron: Legacy" dennoch. Das wird allerdings nicht im geringsten dem legendären Vorgänger gerecht.

Wertung: 5/10


"Tron: Legacy"

US 2010

Joseph Kosinski

mit Jeff Bridges, Olivia Wilde, Garrett Hedlund

Nur im Kino!


Mittwoch, 26. Januar 2011

BLACK SWAN


Darren Aronofskys neuer Film zeigt uns Natalie Portman in Höchstform und verfehlt seine filmische Wirkung nicht, obwohl es genug Gründe dafür gäbe.

Nina ist eine ehrgeizige und leidenschaftliche Ballett–Tänzerin, die ihr Leben ausnahmslos ihrer Arbeit an der New Yorker Ballet Company widmet. Als die Rolle der Primaballerina für die Produktion des Klassikers Schwanensee neu besetzt werden soll, wird Nina vom Regisseur favorisiert. Sie bekommt jedoch schnell Konkurrenz durch die jüngere Lily, die zwar technisch schwächer ist, aber eine Leichtigkeit besitzt, die sich nicht mit Übung erreichen lässt. Zwischen den beiden entsteht eine außergewöhnliche Beziehung, die zur Zerreißprobe für Nina wird. Immer intensiver lernt sie die düstere Seite ihres Selbst kennen, das ihr bedrohlicherweise immer ähnlicher wird.

Als ich mir das erste mal den Trailer angesehen habe, hatte ich ehrlich gesagt gar keine Lust mir den Film anzusehen. Nun gut, "The Wrestler" fand ich sehr gut und Natalie Portman passt einfach hervorragend in diese Rolle, aber ehrlich gesagt, dachte ich mir schon damals: "Hä? Da ein bisschen Cronenberg und hier ein bisschen Powell & Pressburger." Letztendlich habe ich meine Meinung geändert, da mir die Kontroverse um den Film gefiel, ich Ballet-technisch ein Noob bin und die Portman eine Kinokarte wert ist.

"Black Swan" kann man nur als organisches und ebenso weibliches Gegenstück zu Aronofskys Vorgängerfilm lesen. Beide Filme sind rein postmoderne Erzeugnisse. Die Handlung ist auch hier nur ein Lego-Konstrukt aus bekannten Motiven. Wichtig ist nicht was erzählt wird, sondern wie man es macht. "The Wrestler" hatte durch seinen starken Charakterdarsteller und die unkontrollierte Dramaturgie, einen viel stärkeren naturalistischen Touch. "Black Swan" ist dagegen reines Genre, pure Fiktion und künstlich wie Pop-Musik, weitaus kommerzieller, aber auch unterhaltsamer. Während "The Wrestler" wie ein leicht unterkühltes Reifezeugnis eines geläuterten Regie-Heißsporns wirkte, revidiert Aronosky mit "Black Swan" alle Vorurteile und zeigt mit viel Mut zum Pathos und dem Einsatz hoher kinetischer Energien, dass freudlose Erzählungen nicht sein Ding sind.

Wer sich allerdings in Genren bewegt, muss vieles beachten und vorsichtig sein. Natürlich, kann kein Filmemacher über Nacht zum Horror-Meister mutieren, aber was uns Aronofsky in diesem Film öfter für altbackene Tricks aus der Mottenkiste präsentiert, grenzt schon an eine Parodie. Plötzlich auftauchende Schatten und das illustrative Schäppern auf der Ton-Spur haben mich eher belustigt als gegruselt. Besonders die erste Filmhälfte versucht so möglichst viel Aufmerksamkeit zu erhaschen, aber das ist letztendlich doch nur peinlich.

Ein anderer auffälliger Punkt ist die Dramaturgie. "Black Swan" ist herrlich chronologisch aufgebaut, mit einem bewährten Standard-Spannungsbogen, dazu die mustergültige Exposition am Anfang plus großer Klimax. Dahinter steckt entweder ein großer Schuss Naivität und somit eine große Offenheit des Regisseurs oder die Angst es dem Zuschauer zu schwer zu machen. Mit Arthouse hat das alles nichts zu tun. "Black Swan" mag ein Independent-Film sein, aber dabei ist er stets höchst hollywoodesk und durch und durch ein Unterhaltungsfilm. Allerdings, was heißt schon Unterhaltung? Ihr wisst was ich meine. Der Film ist Kunst-Trash. Ein total unvernünftiger High-Concept-Schwachsinn. Wie einfach kann es ein Regisseur seinem Publikum machen, seinen Film rational zu zerreißen? Seht euch "Black Swan" an.

Ich rate euch einfach dazu, eure Gehirne an der Kasse abzugeben. Denn nur so lässt sich meine überaus hohe Wertung erklären. "Black Swan" ist nämlich ein weiteres gutes Beispiel für die Kraft des Regisseurs. Mag das Drehbuch noch so schwach sein, wenn die Besetzung und die Umsetzung stimmt, dann kann man nur gewinnen. Denn abgesehen von den peinlichen Billig-Erschreckmomenten, trifft "Black Swan" genau da, wo es weh tut, mitten ins Herz. Man kann sich so wunderbar auf den Weg der Interpretationen begeben und die Metaphern entschlüsseln, die Coming-of-Age-Story durchleuchten und sich dem sexuellen Sub-Text mit orgiastischer Prosa nähern, aber dass bringt alles gar nichts. Es bringt auch nichts über die wunderbare Kamera zu schreiben, die sogar "The Wrestler" toppt, Mut zu mehr Korn zeigt und es auch schafft Ballet-Tanz mit nie dagesehener Dynamik zu filmen. Man wird auch nicht schlauer, wenn man Zeilen darüber liest, wie grandios Frau Portman spielt. Ebenso hat es keinen Sinn zu hinterfragen warum sie neuerdings so gebasht wird. Dabei ist sie doch schon seit "Léon" ein großes Talent und tut alles Erdenkliche um interessante Rollen zu bekommen und um von ihrem schönen Model-Typ weggecastet zu werden. Der Körperfaschismus macht dann auch vor Filmfiguren nicht halt, die dann neuerdings auch Vorbildfunktionen haben und nicht zu dünn, nicht zu dick und nicht zu drogensüchtig aussehen dürfen. Wie schon gesagt, das bringt alles nichts, wenn man es schreibt, aber ich mache es trotzdem.

Natürlich wird die Portman den Oscar bekommen, eben auch weil sie ihn verdient hat, denn ganz egal, ob Plagiat, Trash oder Porno, gutes Schauspiel bleibt gutes Schauspiel und in "Black Swan" schien sie nie besser besetzt. Ihre Darstellung trifft direkt ins Herz, um mich mal zu wiederholen. Alles an "Black Swan" trifft ungemütlich. Man kann sich diesem Wust an Energie nicht leicht entziehen. Es ist dieser Pathos und diese bittersüße Künstlichkeit, Mansells und Tschaikowskys Score, die Verwandlung, die Bilder, alles auf einmal, Kino halt.

Wertung: 7/10



"Black Swan"
US 2010
Darren Aronofsky
mit Natalie Portman, Vincent Cassel, Mila Kunis



Nur im Kino!

Sonntag, 9. Januar 2011

THE DUELLISTS

Jeder fängt mal klein an. Mit "The Duellists" startete Ridley Scott seine große Karriere und zeigte offen und ehrlich, wer ihn beeinflusste und was ihn auszeichnet.

Ridley Scott gehört ohne Zweifel zu den interessantesten Hollywood-Regisseuren, eben weil er auch ein auteur ist. Seine Filme kann man allerdings schwerlich katalogisieren und thematisch einordnen. Noch stärker als Spielberg hat es Scott darauf angelegt, möglichst viele unterschiedliche Filme zu drehen. Das war schließlich auch der Grund warum er sich für "Alien" entschied. Nach "The Duellists" bot man ihm einen weiteren Kostümfilm an. Er lehnte ab und ging nach Hollywood.

Alle Scott-Filme haben natürlich diesen gewissen Touch, der sich am intensivsten auf der visuellen Ebene entfaltet. Scott hat ein tolles Auge und denkt als Regisseur wie ein Kameramann und Cutter. Über Jahre konnte er in der Werbebranche seine Sinne schulen und inszenierte erst sehr spät sein Kino-Debüt. Scotts Werk ist in seinem Umfang einzigartig, von der romantischen Komödie bis zum Kriegsfilm ist alles dabei. Allein darin findet sich eine thematische Linie, im fröhlichen Genre-Wechsel. Umso verwunderlicher ist, dass seine zwei prestigeträchtigsten Filme im gleichen Genre beheimatet sind. "Alien" und "Blade Runner" waren mehr als Klassiker. Der Erste war ein Meilenstein des New Hollywood. Der Zweite war unverhohlen Scotts "Citizen Kane".

Danach, immer mehr Filme, gebetsmühlenartig graste Scott die verschiedensten Genres ab, doch an seinen 2. und 3. Film kam kein einziger mehr heran. Was blieb war der kommerzielle Erfolg, als letzte Bastion eines Regisseur um für seine Filme Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Die 90er sind ein einziges auf und ab. Auf "Thelma und Louise" folgen Filme wie "1492" und "Die Akte Jane", medienwirksame Spektakel und Star-Vehikel. 1992 wird "Blade Runner" als Meisterwerk wiederentdeckt, indem Scott dem Director's Cut seinen wahren Namen gab. Das Jahrzehnt beendete er dann mit einem Film, der sogar seine bisherigen zwei Klassiker zu überschatten droht. "Gladiator" war nicht nur eine exzellente Geldmaschine und die Rehabilitation eines totgeglaubten Genres. Scott bekam den Oscar und mehr Prestige als ihm "Alien" und "Blade Runner" je hätten einbringen können. Sein Name wurde zur Marke, zum Aushängeschild. "Gladiator" beschenkte ihn nicht nur mit Russell Crowe, sondern auch mit einer Kubrick-artigen Immunität.

Ab da wollte sich Scott alles erlauben. Es folgt das unverfilmbare Sequel zu "The Silence of the Lambs". "Hannibal" wird ein Medienereignis. Darauf folgt "Blackhawk Down", beinah ein Kultfilm. "Matchstick Men" ist dagegen winzig und klein. Ein verschrobener, verfilmter Taschenspielertrick. Dennoch, dem Erfolg von "Gladiator" konnte nichts das Wasser reichen. Scott dreht wieder einen Sandalenfilm. "Königreich der Himmel" verfliegt allerdings im Wind. Danach beginnt ein Crowe-Marathon, "Ein gutes Jahr", "American Gangster", "Body of Lies" und "Robin Hood", kein Film wie der andere, das Bindeglied ist einzig Russell Crowe.

Es scheint so, dass Ridley Scott bereits mit einer scheinbar magischen Aura umgeben ist. Ihn kann nichts mehr erschüttern. Er hat alles verdient, was man verdienen kann. So erklärt sich sein fast verbrecherisch ruhiger Habitus in manchen Making-Ofs, mit der dicken Zigarre und seinem genüsslichen britischen Akzent. Doch, so ein Geist kann nicht ruhen und angesichts der zig Projekte an denen Scott parallel zu arbeiten scheint, kann man auch nicht von Altersmüdigkeit sprechen.

Doch was sind eigentlich die Vorbilder von Ridley Scott? Selbst jemand der schon Vorbild für zig andere Regisseure ist, muss sich sein Handwerk bei anderen abgeguckt haben. An "Alien" sehen wir Scotts große Vorliebe für "2001" und Stanley Kubrick, doch das war schließlich sein 2. Film und die Referenz lässt sich auch mehr durch das Genre erklären. Nein, der beste Gradmesser für die Vorbilder eines Regisseurs ist sein Debüt-Film. Hier steckt der Filmemacher meistens alles rein, was ihm lieb und teuer ist. Sieht man Chris Nolans "Following", dann sieht man viel Hitchcock und Godard. Sieht man Tykwers "Die tödliche Maria", dann sieht man Murnau und Cronenberg. Erst im späteren Werksverlauf fügen die Filmemacher ihren Filmen immer mehr eigene Handschrift hinzu, manche früher, manche später, manche leider garnicht.

Ridley Scott gehört definitv nicht dazu, sein visueller Stil ist Handschrift und Marke geworden. Obwohl er aus der Werbung kam, haben seine überästhetisierten Bilder wenig mit Werbung zu tun. Sie sehen wunderschön und poetisch aus, aber sie sehen selten nach Hochglanz aus, jedenfalls in Scotts Anfangstagen. Andere spätere Filme, z.B. "Matchstick Men" arbeiten dann schon mit einer Art Werbeästhetik. Dieses feine Gespür für Kadragen, Licht, Schatten und Farben kann man natürlich nicht einfach so erlernen. Talent gehört immer dazu, aber auch die richtigen Vorlagen sind wichtig. In Scotts Debütfilm sieht man weder Hitchcock, noch Godard. "The Duellists" steht ganz im Zeichen eines anderen großen britischen Filmemachers, bei dem sich Scott wie kein zweiter bediente, Nicolas Roeg.

Als "The Duellists" 1977 ins Kino kam, hatte Roeg seine ganz großen Filme schon hinter sich gebracht. "Performance", "Walkabout", "Don`t Look Now", "The Man who fell to earth", vier absolute Meisterwerke von unendlicher Kinomagie und Schönheit. In "The Duellists" versuchte Scott daran anzuschließen, was ihm nur bedingt gelang. Der Einsatz des Zooms, die Handkamerasequenzen, die möglichst natürliche Lichtführung, die Arbeit mit sichtbaren Lichtquellen, die gedeckte Farbpalette und natürlich die zeitlich ungebundene, teilweise äußerst rasante Montage, all diese Roeg-Charakteristika nutzt Scott auch in seinem Erstlingsfilm, teilweise bis zur Mimikry, manchmal aber auch gelingt ihm der persönliche Touch. Was Scott und Roeg beide gleichfalls auszeichnet, ist Atmosphäre, also die Kunst künslich zu sein ohne künstlich zu wirken. So wie man sich in Venedigs Labyrinth in Roegs "Don't Look Now" verlierte, so wird man in die napoleonische Zeit von Scott "The Duellists" hineingezogen. Atmosphäre kann man nicht aus dem Stehgreif erzeugen. Es ist das perfekte Zusammenspiel von Kamera, Licht, Kostümen, Schauspielern, Set-Design, Requisiten und Schnitt. Das Drehbuch hat meiner Meinung nach eher selten etwas damit zu tun, es kann sogar viel Atmossphäre zerstören. Scotts Film basiert auf einer Geschichte von Joseph Conrad, genannt "The Duel", eine Geschichte mit scheinbar vielen Zeitsprüngen. Vom Aufstieg bis zum Fall Napoleons treffen die beiden Duellanten (richtiges Wort!) immer wieder aufeinander. Dieser Verlauf diktiert auch die Struktur des Films. Mir gefiel diese Art der Erzählung nicht. Anscheinend war sie zu literarisch, keine Ahnung, aber der Atmosphäre hat es eindeutig nicht geholfen. Dennoch gibt einige äußerst herausragende Sequenzen, allein die letzten beiden Duelle sind Zeugnisse von Scotts ganzer Kraft.

Es ist natürlich eine Geschichte über Vernunft und Unvernunft, ein Duell der beiden, ausgetragen durch zwei gegensätzliche Charaktere. Keith Carradine spielt den opportunistischen, rationalen und wohlerzogenen Frauenhelden, während Harvey Keitel, den irrationalen, gewalttätigen und leidenschaftlichen Heißsporn spielt. Letztendlich interessiert sich der Film mehr für Carradines Figur, doch wäre eine gleichgestellte Betrachtung nicht angemessener gewesen? So verkommt Keitels Figur oftmals zum bloßen Villian, den man nach einiger Zeit ebenso lästig findet wie der Held. Nur im letzten Moment, wahrscheinlich beabsichtigt, lässt uns der Film einmal ganz allein mit Keitel. Der Film endet mit einem Caspar-David-Friedrichschem Plagiat, genauso schön wie schauderhaft, ein Moment der Zwielichts, in der Keitel sich umbringen kann oder nicht, erfüllt durch Sinnverlust. Bereits zuvor heißt es schon, er habe diese leeren Augen. Die Nahaufnahme zum Schluss bestätigt das.

"The Duellists" ist ein kraftvoller Debütfilm, mit einem Reichtum an Referenzen, von Roeg bis "Barry Lyndon", und zwei starken Hauptdarstellern, der trotz einiger Drehbuchschwächen keinen Zweifel an den kommenen Großtaten Ridley Scotts aufkommen lässt.

Wertung: 6,5/10


"Die Duellisten"

GB, USA, 1977

Ridley Scott

mit Keith Carradine, Harvey Keitel, Cristina Raines


Auf DVD erhältlich!


Samstag, 8. Januar 2011

TAKEN


In der Flut der Selbstjustizfilme der letzten Jahre, gelingt Pierre Morel mit „Taken“ ein waschechter Vigilante-Film, spannend, brutal und unerbittlich.

Liam Neeson spielt so als hätte man ihn nie in anderen Rollen gesehen. Souverän verkörpert er den Actionhelden als verletzliche Gestalt. Ein Schwarzenegger und Stallone hätten das nicht spielen können, allein von der Statur. Neesons Figur löst seine Probleme mit Intuition, Schnelligkeit und Erfahrung, selten mit Kraft. Den Muskelbepackten Actionstars der Alt-Zeit hätte man den gebrochenen CIA-Agenten im Ruhestand nicht abgekauft. Neeson dagegen ist schlank wie eine Gräte, drahtig möchte man sagen. Sein Gesicht ist verhärmt, schmal und faltig. Ein Besetzungscoup!

"Taken" fällt erstmal gar nicht so auf in der Welle der Selbstjustiz-Filme der letzten Jahre. Seit "Kill Bill" ist Rache wieder tierisch in und leider selten ebenso gut verfilmt worden. Mit "Taken" liefert der französische Kameramann und Action-Regisseur Pierre Morel dagegen einen sehr guten Vigilante-Film ab.

Das ist natürlich alles herrlich fiktiv und ebenso wunderbar konstruiert. Hier ist Amerika das Paradies und Europa eine gefährliche Zone. Da gibt es den reuesüchtigen Vater, der nur Zeit mit seiner Tochter verbringen will. Da ist die unnachsichtige Exfrau, die ihm die vergangenen Entbehrungen nicht verzeihen will und da ist der neue etwas füllige Papa, mit viel Geld und einem Weihnachtsmannbart. Ach ja, und dann sich da noch die Bösen, die Geschäftemacher, die mörderischen Albaner, die opportunistischen Franzosen und wohlhabenden Scheichs.
Abgesehen von Amerikas Sonderstellung, erscheint Morels Film eher wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Land als wie eine Diffamierung des selbigen. Vielleicht fehlt ihm auch einfach die nötige Bindung zu den Vereinigten Staaten.

An der Oberfläche ist der Film eine Aufräumsituation gegen Missstände. Eine klare one-against-all Situation in der man niemanden trauen kann, ein simpler Gut-gegen-Böse-Konflikt. Doch eigentlich verhandelt "Taken" den Konflikt zwischen Zivilisation und Kriminalität. In Morels Film ist die Zivilisation mit ihren geregelten Einkommen, Supermärkten und großspurigen Geburtstagsfeiern zwar etwas schützenswertes, aber auch eine Situation des Stillstands, des herum vegetierenden Glücks und der Abwesenheit wichtiger Ziele. Eine Situation mit der Neesons Figur sehr schlecht zurechtkommt, wenn da nicht seine Tochter wäre. Ihn interessieren Grillabende und Geburtstagsfeiern, Popsternchen und Karaoke-Maschinen genauso viel wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Das Leben abseits der Legalität, dass er vorher geführt hat, machte ihn stark, aber auch zerbrechlich und auch im Bezug auf das Kino bietet diese Seite der Welt weitaus interessantere Momente als das normale Leben direkt vor der Haustür. Dementsprechend sind Happy-Ends gar nicht so wünschenswert. Sobald das Ziel erreicht ist, also wenn alle Konflikte gelöst sind, dann wird es schnell langweilig.

Die Zeit zwischen Exposition und Happy-End nutzt „Taken“ formidabel aus. Morel gelingt es durchgängig die Spannung zu halten und lässt seinen Helden wie einen Übermenschen Paris durchflügen. Man muss sich klar sein, dass man es mit einem reinen Unterhaltungs- und Genrefilm zu tun hat, der auf political correctness keine Rücksicht nehmen kann, sonst würde er enorm an Zündkraft einbüßen. Schließlich baut man ein Verhältnis zum Protagonisten auf, Morels Ziel: die komplette Enthüllung oder auch Demontage. Der anfänglich liebenswerte Familienvater wird immer mehr zur unerbittlichen Killermaschine. Schritt für Schritt wird Mills Handeln härter. Sobald er die Frau seines französischen Freundes mit dem Tode bedroht, wird wohl auch der letzte Zuschauer zweifeln, ob das noch alles gerechtfertigt sei. Mills Vorgehen wird, anders als in „24“, nämlich niemals glorifiziert, aber auch ebenso wenig verurteilt, keine Kritik, keine Propaganda, bloßes Handeln, reiner Plot und geradlinige, nüchterne Action. Diese Uneindeutigkeit hält der Film bis kurz vor Schluss durch. Wenn der letzte Bösewicht vernichtet ist und Vater und Tochter sich glücklich in die Arme fallen, kehrt der Film wieder in die Zivilisation zurück. Wir befinden uns praktisch wieder in der Ausgangssituation, als wäre nichts gewesen. Das Schicksal der Tochter ist es, ein Pop-Star zu werden. Dafür opfert der Film noch eine letzte leicht-ironische Szene, ähnlich doppeldeutig wie das Ende von Spielbergs „Krieg der Welten“.

„Taken“ ist in erster Linie Kinetik und somit fulminantes Kino. Liam Neeson ist großartig und auch wenn sich Pierre Morels Kamera etwas zu sehr am unübersichtlichen Action-Kino der Neuzeit anlehnt, seine Montage ist dagegen rasant und pfiffig. Große Innovationen darf man in diesem „Guilty Pleasure“ nicht erwarten, dafür aber viele Überraschungen.

Wertung: 7,5/10


"96 Hours"

USA, FR, 2008

Pierre Morel

mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Janssen


Auf DVD & Blu-Ray erhältlich!