Mittwoch, 7. November 2012

CLOUD ATLAS


Wenn man bedenkt, dass „Cloud Atlas“ die bisher teuerste, deutsche Co-Produktion aller Zeiten ist, so war ich verwundert darüber wie unbekannt der Film selbst in filmaffinen Kreisen ist. Irgendwie läuft da etwas mit dem Marketing falsch. Man sieht zwar hier und da ein Poster oder einen Trailer, aber sobald man nur „Cloud Atlas“ sagt, weiß kaum einer worum es geht. Dabei hat solch ein megalomanisches Projekt diese Aufmerksamkeit nicht nur nötig, sondern auch verdient, denn wenn Deutschland mal nach Hollywood schielt, dann kommt meistens nur Schrott wie die „Resident Evil“-Reihe heraus. Die schwer fassbaren Stoffe, die überlangen Drehbücher, die haushohen Ambitionen sucht man hier ja ziemlich vergeblich.

So überraschte es auch nicht, dass sich Tom Tykwer für so ein wünschenswertes Projekt empfahl. Nach Filmen wie „The International“, „Das Parfüm“ und „Heaven“ konnte Tykwer sein Schuhwerk bereits auf dem großspurigen Hollywood-Parkett einlaufen. Die Babelsberg-Connection brachte dann auch die Wachowski-Geschwister und Tykwer zusammen, so hatte sich ein ungewöhnliches Regie-Trio gefunden, deren einzige Gemeinsamkeit der Hang zu aufwendigen Money-Shots zu sein schien.

An epischer Breite scheint es der recht unbekannten Vorlage in erster Linie nicht zu mangeln. Die Geschichten erstrecken sich über fünfhundert Jahre und sind überschwemmt mit Figuren, Querverweisen und Dopplungen, denn wie die Tagline des Films bereits verrät: „Alles ist verbunden.“ Genug Stoff für einen dreistündigen Film. Fatal ist nur, dass man nach dem Film die Lust verspürt das Buch zu lesen, nicht weil das Kinoerlebnis so anregend war, sondern weil man sich fragt, ob das jetzt schon alles war.

Aus der bloßen Masse an Handlung macht der Film nämlich herzlich wenig. Außer einer eigenartig gestrigen, aber dafür maximal prominenten A-Besetzung, verführt recht wenig zum Kauf der Kinokarte. Die großen Stars von Tom Hanks bis Halle Berry tauchen in den vielen Geschichten immer wieder mal in kleineren und größeren Rollen auf, die sich alle durch aufwendige Masken und Kostümierungen unterscheiden. Den irritierenden Gipfel erreicht dieser Karneval beim Asianfacing Keith Davids und Jim Sturgess, wobei die Regie-Intentionen klar ersichtlich bleiben. Alles ist halt miteinander verbunden.

Die Geschichte beginnt im Jahre 1846, wo ein amerikanischer Anwalt (Jim Sturgess) aufgrund der Freundschaft zu einem entflohenen Sklaven (David Gyasi) anfängt an der Sklaverei zu zweifeln. 1936 liest ein junger Komponist (Ben Whishaw) die Aufzeichnungen des amerikanischen Anwalts und fühlt sich dazu inspiriert ein Stück zu schreiben, dass ihm aber sein Lehrmeister (Jim Broadbent) versucht zu stehlen. All das beschreibt der Komponist leidenschaftlich in den Briefen an seinen Liebhaber (James D'Arcy), der in den 70er Jahren, als alter Mann, von einem Auftragskiller (Hugo Weaving) erschossen wird, weil er versuchte die dunklen Machenschaften eines Energiekonzerns aufzudecken. Zum Glück nimmt sich eine furchtlose Reporterin (Halle Berry) der Geschichte an. Im Jahr 2012 landet ein überschuldeter Verleger (Jim Broadbent) durch die Fehde seines Bruders im Altersheim und plant mit ein paar „Miteinsassen“ seinen Ausbruch. Das Neo-Seoul der Zukunft scheint dagegen ein viel größeres Gefängnis zu sein. Dort wird eine Klonin (Doona Bae) zum Messias der rebellischen Untergrundbewegung und steigt sogar zur Prophetin empor, derer man sich noch in der weit entfernten Zukunft erinnert. In einer Zeit, wo die Menschen wieder in Stämmen leben und ein Schafshirte (Tom Hanks) eine Reisende (Halle Berry) zum Berg des Teufels geleitet.

Das ist wirklich nur die kurze Kurzzusammenfassung und zwischenzeitlich kommt man schon ins Grübeln, ob drei Stunden hierfür wirklich ausreichen. Dem Film gelingt es diese Frage halbwegs aus der Welt zu schaffen, denn vor Spannung wird sich das Publikum nicht in den Kinosessel krallen. Die drei Stunden, sie sind spürbar, trotz der Menge an Geschichten und es bleibt das Gefühl nicht genug erzählt zu haben. Da wiederum einen sich das Kino Tykwers und der Wachowskis nochmals, denn ihre Inszenierung bleibt gerne an der Oberfläche hängen. Größe entsteht allerdings nicht nur, wenn die Handlung groß ist oder die Figuren viele kluge Dinge im Off-Kommentar sagen. Die Wachowskis und Tykwer türmen lieber einen Haufen Silikon und Seide auf, gleiten mit der Kamera durch CGI-Welten und garnieren ihre Show mit einem Haufen an Glückskeksweisheiten.

„Cloud Atlas“ erinnert nicht von ungefähr an einen gescheiterten „Tree of Life“. Er strebt nach ähnlicher Größe, ergeht sich dabei aber lieber im Ausbuchstabieren als im filmischen Erzählen. Statt zu erleben, betrachtet man nur. Die Regie nötigt förmlich zum staunenden Begaffen der immensen production values, doch wirklich lebendig werden weder die kostümierten Figuren, noch die Kulissen. Noch nicht mal das übergroße Neo-Seoul regt die Kinnlade zum Fallen an, da die Wachowskis eher am Nachstellen von „Blade Runner“ interessiert sind. Nichts erinnert mehr an die entsättigten und unterkühlten Zukunftsvisionen früherer Filme der Regie-Geschwister. Tom Tykwers Formalismus war dagegen schon immer etwas zurückhaltender und sowieso europäischer. Selbst so eine große Produktion wie „The International“ hatte immer noch etwas sehr intimes und ärmliches an sich. Mit den großen Geschützen kann Tykwer anscheinend dafür nicht ganz so gut umgehen.

So heben sich der dystopische Größenwahn der Wachowskis und die versöhnliche Bilderbastelei Tykwers gegenseitig auf und kreieren letztendlich ein lauwarmes Möchtegernepos voller halber Sachen, kitschiger Dialoge und postmodernem Recycling. Es ist beiweitem nicht die filmgewordene Rebellion die inhaltlich laut anklingt. Das Streben nach Veränderung, das Ausbrechen aus konservativen Strukturen, das bleibt uns „Cloud Atlas“ weitesgehend schuldig. Einzig ein Moment im Film verzaubert. In einer Montage, wo alle Geschichten in schnellen Schnitten miteinander vermengt werden, zerstört der junge Komponist zusammen mit seiner großen Liebe Porzellan in Ultra-Zeitlupe. Die Schönheit der Zerstörung als Sinnbild von Aufbruch und Veränderung, doch „Cloud Atlas“ schafft es nicht dieses Bild zu erhalten. Vieles bleibt Tapete.


Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 4/10

"Cloud Atlas"

DE, HK, SG, US 2012
Lana Wachowski, Tom Tykwer, Andy Wachowski
mit Tom Hanks, Halle Berry, Keith David

Montag, 22. Oktober 2012

THE GIRL


„You had a breathing, living woman, and you turned her into a statue.“

Das Verhältnis zwischen dem Regisseur und der Schauspielerin hat bis heute nichts von seiner musischen, aber auch gewalttätigen Kraft verloren. Die Filmgeschichte ist reich an Beziehungen zwischen Schauspielerinnen und ihren Regisseuren, glanzvolle Affären, behütete Ehen, aber auch bedrohliche Abhängigkeiten. Das Klischee des aufstrebenden Starlets, dass erst auf die Besetzungscouch muss um ganz nach oben zu kommen, war noch nie eine Geschichte bei der beide Parteien als Sieger hervor gingen. Das Kunstgewerbe, wie auch die Filmbranche werden bis heute von Männern dirigiert. Die Nötigung von Frauen für den Karrieresprung, solche perfiden Mittel denken sich nur die Herrschenden aus und sie haben auch die Macht an ihnen festzuhalten. Die Schauspielerin spielt das Spiel entweder mit oder nicht.

Julian Jarrold (u.a. „Geliebte Jane“) erzählt im Fernsehfilm „The Girl“ dieses bekannte Verhältnis, allerdings in einem völlig neuen Umfeld, der Biografie Alfred Hitchcocks. Der Filmemacher zählt bis heute zu den bekanntesten und einflussreichsten seiner Zunft. Kein Regisseur zuvor bemühte sich so sehr das Image des Autoren hinter der Kamera zu pflegen, den Namen des Filmemachers mit dem Werk untrennbar zu verschmelzen. Keine Werbung, kein Trailer und kein Film ohne den charakteristischen Auftritt des Briten. Das Publikum meinte Hitchcock zu kennen. Er gab ihnen ein Bild. Seine Verehrer sahen in ihm nur das Genie, doch wie seine Filme so enthielt auch Hitchcocks Leben äußerst dunkle Seiten, die der „Master of Suspense“ wohl nur ungern öffentlich gemacht hätte, wie zum Beispiel seine Beziehung zum Model Tippi Hedren, die als letzte große Hitchcock-Blondine in „Die Vögel“ und „Marnie“ zu Weltruhm kam.

Hitchcock war überzeugt von der noch unerfahrenen Hedren und gab ihr nach ein paar Screen-Tests sofort einen Siebenjahresvertrag. Die folgenden drei Jahre erlebte sie allerdings eine ganz andere Seite des beliebten Regisseurs. Er belästigte und verfolgte sie, rief ständig bei ihr an, quälte sie bei den Dreharbeiten und verlangte von ihr sexuelle Gefälligkeiten. Hedren gelang es mit Müh und Not „Marnie“ zu Ende zu drehen und verschwand dann für immer. Hitchcock sorgte für das Ende ihrer Karriere, genauso schnell wie er für ihren Aufstieg sorgte. Heute urteilt Hedren über den Filmemacher: „He was a powerful man.“ Sie fühlt sich als Siegerin, zurecht.

Jarrolds Film beleuchtet die Zeit vom Casting Hedrens bis zum Drehschluss von „Marnie“, zeigt dabei aber wenig Interesse an den eigentlichen Dreharbeiten der Filme. Anders als der nächstes Jahr startende „Hitchcock“ mit Anthony Hopkins steht nicht die Erschaffung eines Meisterwerks im Vordergrund, sondern einzig und allein Hedrens Erlebnisse und die Beziehung zu Hitchcock. „The Girl“ bleibt, wie der Titel vermuten lässt, hauptsächlich in ihrer Perspektive, wobei es dem Film nicht nur darum geht authentisch zu sein, sondern auch darum die ungelüfteten Geheimnisse in Hitchcocks Werk offenzulegen.

„Psycho“ war vielleicht der größte Erfolg des Filmemachers, aber filmhistorisch sind es gerade seine beiden darauffolgenden Filme „Die Vögel“ und „Marnie“, die bis heute begeistern, spalten und Fragen aufwerfen, eben auch weil keine der vorherigen Stars vergleichbar war mit Tippi Hedren, vom Meister persönlich erkoren, die absolute Hitchcock-Blondine also. Dass der Regisseur danach nie wieder an seine Erfolge anknüpfen konnte und eine Nachfolgerin für Hedren ebenso ausblieb, schürte den Mythos umso mehr.

„The Girl“ zeigt dennoch selten Interesse daran diesem Mythos zu huldigen. Er dekonstruiert offen das Genie Hitchcocks, zeigt ihn als psychotischen Sadisten, verklemmten Tyrannen und übersetzt dennoch äußerst schlüssig wie nur so ein Mensch solche Filme drehen konnte. Das fängt bei einer der größten Hitchcock-Fragen überhaupt an. Warum greifen die Vögel Bodega Bay an? Natürlich weil Melanie Daniels, gespielt von Hedren, in die Stadt kommt. Sie bringt die Vögel mit. Jarrolds Film stellt die Vögel des Films und die Bedrohung durch Hitchcock in eine analoge Beziehung. Melanie Daniels Märtyrium ist Tippi Hedrens Märtyrium während der Dreharbeiten. Kernszene dieses Vergleichs bildet die berüchtigte Dachbodenszene. Melanie geht im Film hoch zum Dachboden, laut Hitchcock in „The Girl“ um sich zu opfern, da ihr bewusst geworden ist, dass sie für die Vögel verantwortlich ist. Oben angekommen wird sie von den Vögeln attackiert bis sie bewusstlos wird. Hitchcock ließ Hedren diese Szene fünf Tage lang drehen. In unzähligen Takes wurde sie von echten Vögeln angegriffen bis sie einen Schwächeanfall erlitt. Doch während im Film Melanie den Angriff geradeso übersteht und die Vögel daraufhin aufhören anzugreifen, kehrte Hedren ans Set als Siegerin zurück. Sie wollte sich nicht vom großen Regisseur fertig machen lassen. Dafür hörte Hitchcock aber auch nicht auf sie anzugreifen.

Der Reiz solcher Bio-Pics liegt natürlich auch immer an ihrer Schlüsselloch-Perspektive. Es ist seine voyeuristische Natur, wie wir sie auch aus Hitchs Filmen kennen. Julian Jarrold lässt vielleicht kaum ein gutes Haar an der Person Hitchcocks, doch er nutzt die Techniken seines Kinos in „The Girl“ bis zur Mimikry. Typische Perspektiven und die subtile Inszenierung erinnern stark an die Filme des Briten. Umso interessanter wie Jarrold typische Topoi im Kontext seiner Geschichte umdeutet, z.B. fungiert Hedrens Dusche zu Hause als ein Ort der Reinheit und Erholung, nicht als Ort eines sexuell aufgeladenen Mordes. Das Motiv der Vögel durchzieht dagegen den ganzen Film als Symbol allgegenwärtiger Bedrohung.

An der Oberfläche bleibt Jarrolds Film fast steril. Die Ausstattung ist superb und hat die Qualtität ähnlicher period pieces wie die TV-Serie „Mad Men“, die sich wiederum vergleichbar mit „The Girl“ ebenso sexistischen Rollenvorstellungen und Machtstrukturen widmet. Ganz egal wie vernarrt und verliebt Hitchock in die Schauspielerin war, seine Machenschaften hatten nichts mit dem Charme eines Verehrers zu tun. Es war reine Unterdrückung. Jarrolds Film lässt allerdings eine interessante Lesart zu. Hitchcock, der, auch nach Francois Truffauts Urteil, sich selbst als ein Monster sah und seine Sehnsüchte wie Obsessionen lieber auf der Leinwand auslebte, hatte ein gestörtes Verhältnis zur Realität.

In einer Szene in „The Girl“ erzählt Hitchcock von einem Künstler, der eine Statue erschafft, die sich dann in einen lebendigen Menschen verwandelt. Eine Fantasie, die er Hedren gesteht. Die ideale Hitchcock-Blondine, die Traumfrau, die der Regisseur in unzähligen Filmen zuvor auf Zelluloid zum Leben erweckte, soll nun endlich Wirklichkeit werden. Für ihn spielt Hedrens eigentliche Persönlichkeit keine Rolle. Er ist von einem Bild besessen, ähnlich wie James Stewart in „Vertigo“. Er will die kühle Blonde nicht mehr länger nur vor der Kamera. Er will sie in seinem Bett. Das Kino soll endlich Realität werden, dabei urteilte der Regisseur einst selbst, dass Filme eher ein Stück Kuchen als ein Stück Leben seien. Die Übersetzung in die Wirklichkeit kann nicht funktionieren. Die Film-Blondine bleibt ein Gespinst, eine künstliche Figur wie die Statue. Hitchcocks Übergriffe verursachen eher das Gegenteil. Aus der der lebenslustigen, jungen Frau wird ein Schatten ihrer Selbst, ein Mischwesen aus Fiktion und Wirklichkeit. Hedren wird emotional immer unnahbarer, kühler. Sie baut sich ein Schutzschild um Hitchcocks Angriffe zu überstehen und wird dadurch erst zu dem, was wir auf der Leinwand sehen. Zuletzt wird sie zu Marnie, zur Statue, deren Bann erst mit dem Drehschluss gebrochen wird.

Es lohnt sich nach „The Girl“ nochmal die eigentlichen Filme „Die Vögel“ und besonders „Marnie“ zu sehen. So gewalttätig Hitchcock in Wirklichkeit war, umso sanfter erscheinen die Filme dazu. Marnie kann ohne weiteres als die komplexeste Figur in Hitchcocks Werk bezeichnet werden und während die früheren Film-Beziehungen zwischen Mann und Frau positiv konnotiert waren, ist Marnies Beziehung zu Sean Connerys Figur durch Abhängigkeiten, Nötigungen und Zwängen gekennzeichnet. Die Analogie ist in „The Girl“ offensichtlich, doch am Set war Hitchcock in der Rolle Connerys. Auf der Leinwand schenkte er dagegen seine ganze Aufmerksamkeit Marnie. Der Regisseur konnte erst einer Filmfigur gegenüber die Empathie empfinden, die er eigentlich auch Hedren, der echten Marnie, hätte schenken müssen. „The Girl“ entblättert damit nicht nur den Mythos Hitchcock, sondern zeigt auch die Triebfeder seiner Filme, den Ursprung ihrer Faszination, Tippi Hedren als Opfer Hitchcocks und Hitchcock als Opfer Caligaris.

Obwohl der Film, wie eingangs erwähnt, stets aus der Perspektive Hedrens erzählt, ist „The Girl“ mehr ein Film über den Täter als über das Opfer. Diese Schwäche muss sich Jarrolds Film eingestehen. Das Publikum ist eher an der Motivation des Monsters interessiert. Das hatte Hitchcock schon für seine höchstfiktiven Thriller genutzt. Ein Bio-Pic muss sich den gleichen Regeln ergeben, was sich vorallem daran zeigt, dass Hedrens Privatleben äußerst uninteressant bleibt. Dennoch nutzt „The Girl“ eine andere Eigenart des Publikums für sich, die Sehnsucht nach einem Happy-End, nach Balance. Ganz egal wie charismatisch der Bösewicht ist, gewinnen sollte er trotzdem nicht und Hitchcock hat letztendlich nicht gewonnen. Das stellt der Film deutlich klar. Hedren kämpft mit erhobenen Haupt bis zur letzten Klappe, reißt sich die Perücke vom Kopf und verlässt das Set ohne zurückzublicken. Hitchcock bleibt nur die Statue, 24 mal in der Sekunde.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 7/10

"The Girl"

GB 2012

Julian Jarrold

mit Sienna Miller, Toby Jones, Penelope Wilton


Samstag, 13. Oktober 2012

PREMIUM RUSH


"Keine Bremsen. Kann nicht anhalten. Will es auch nicht."

Ein Tag in New York City: Wilee (Joseph-Gordon Levitt) ist der furchtloseste aller Fahrradkuriere. Sein Bike hat weder Bremsen noch Gänge. Es gibt nur eine Art vorwärts zu kommen und keine um sich aufhalten zu lassen. Heute erhält Wilee den Auftrag. Er soll einen Umschlag von A nach B transportieren, eigentlich ein Alltagsjob, doch auf einmal ist ihm ein rücksichtsloser Cop (Michael Shannon) auf den Felgen, der diesen ominösen Umschlag unbedingt haben will.

Noch bevor man überhaupt den Film gesehen hat, möchte man auf die Knie fallen und David Koepp dafür danken sich überhaupt an so eine Geschichte rangetraut zu haben. Klar, sie ist simpel, aber das ist es ja gerade. Mainstream-Action aus Hollywood begnügt sich schon seit Jahren nicht mehr mit einfachen Geschichten. Vorbei sind die Zeiten, wo es reichte eine Gruppe Menschen durch Terroristen in einem Hochhaus festzuhalten. Action erzählt sich heute nur noch über Mythenbildung („The Dark Knight Rises“, „Avengers“) oder verkompliziertes Storytelling („Inception“, „Source Code“). Da verwunderte es nicht, dass der beste Actionfilm der letzten Jahre „96 Hours“ aus Frankreich kam und auf eine straighte Handlung setzte.

Die Geschichte von „Premium Rush“ ist also ungewohnt altmodisch, fast naiv rein. Die Inszenierung und Montage sind dagegen ganz und gar nicht altbacken, sondern schier eindrucksvoll modern. Der überwiegend an Originalschauplätzen gedrehte Film bietet in seinen schon straffen 91 Minuten ein ungeahntes Tempo. Levitt und Co. fahren hier nicht Fahrrad im Studio vor Greenscreen, sondern auf echten New Yorker Straßen. Die entfesselte Kamera ist immer ganz dicht dabei. Keine Einstellung scheint unmöglich. Dennoch geht es nie darum die Bilder auszustellen. Alles steht im Dienste der stringenten Handlung, wobei es der Autor nicht lassen konnte die Erzählung gerade in der ersten Hälfte aus mehreren Perspektiven nacheinander zu erzählen, was wiederum die Figuren gut charakterisiert und ihre Hintergründe gleichwertig beleuchtet.

Das ist aber nicht alles. Non-Digital-Native Koepp holt noch andere neumodische Tools aus der Inszenierungskiste, z.B. Google Maps. Wenn sich Wilee eine Strecke überlegt, geht die Kamera ohne Schnitt in die isometrische Ansicht und zeigt die mögliche Route inklusive tickender Uhr, denn der Film läuft fast in Echtzeit. Mühelos wechselt „Premium Rush“ zwischen Überblick und Introspektive. Kommt Wilee eine schwierige Verkehrssituation in den Weg, spielen sich in seinem Kopf mögliche Was-Wäre-Wenn-Szenarien ab, wobei er sich für das Manöver entscheidet, dass weder ihn noch andere unter die Räder bringt.

In vielen Momenten erinnert „Premium Rush“ an den schon jetzt Kultfilm „Drive“, bloß auf Fahrrädern. Nur hat Koepp kein Interesse an Nihilismus und Gewalteskapaden. Der Film bleibt immer eine leichte Spielerei mit viel Sonnenlicht und wenig Schatten, Unterhaltung im Dienste der Unterhaltung eben. Ein ironiefreies Abenteuer inklusive Boy-Meets-Girl und moralischem Kompass. Denn irgendwann enthüllt Koepp seinen herrlich sinnentlerrten MacGuffin um Wilees Wandlung zum Helden einzuläuten. Die eröffnete Nebenhandlung im Land der Mitte raubt dem Film leider seine Reinheit und der Kitsch schleicht sich ein.

„Premium Rush“ erzeugt eine eigenartige Mischung aus gewohntem und ungewohntem. Der von Michael Shannon manisch gespielte Bad-Cop bedient seine Klischees um Spielsucht und Korruption schon so weit, dass es wieder originell wird. Abgesehen davon, dass Shannons Abonnement auf psychisch labile Rollen langsam nervt. Am meisten begeistert immer noch die dynamische Aufmachung, die ich Konservativ-Filmer Koepp nicht zugetraut hatte. Dennoch, hätte er die Handlung noch mehr entschlackt und sich ganz auf die Stärken des Kinos verlassen, dann wäre „Premium Rush“ ein echter Reißer geworden. So bleibt ein guter aber auch schwächelnder Film zurück, der sich keine außerordentlichen Ziele setzt und in keine neue Richtung weist, geschweige denn fährt.
Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 6/10

"Premium Rush"
USA 2012
David Koepp
mit Joseph-Gordon Levitt, Dania Ramirez, Michael Shannon

Mittwoch, 3. Oktober 2012

TAKEN 2



"Hör mir bitte zu Kim! Deine Mutter und ich werden entführt."

Es kommt nicht oft vor, dass man einen Film sieht, der die eigenen Erwartungen mehr als übertrifft. „96 Hours“, oder schlicht „Taken“, war damals so ein Film. Wer hätte gedacht, dass der bisher einzig auf Charakterrollen adressierte Liam Neeson glaubhaft zum Sly Stallone der Gegenwart avanciert. Die klare Regie und ein Drehbuch ohne viel Firlefanz machten den astreinen, schlanken, aber äußerst kompromisslosen Vigilante-Thriller erst möglich. Der Erfolg war enorm, eine Fortsetzung wohl unausweichlich. Der Ironie des Schicksals ist es nun auch geschuldet, dass meine Erwartung dem zweiten Teil gegenüber weit untertroffen wurde. Nicht, dass ich etwas genauso gutes vermutet hätte, aber dass „96 Hours - Taken 2“ genauso unbeholfen ist wie sein Titel klingt, hat mich doch schwer verwundert, wobei die Gründe offensichtlich sind. Zwei entscheidende Dinge haben sich geändert.

Zwar haben Luc Besson und Robert Mark Kamen wieder das Drehbuch geschrieben, doch von der chemischen Reinheit des ersten Films sind sie dieses mal weit entfernt. Während „Taken“ noch gänzlich um Liam Neeson herum geschrieben war und die geradlinige Handlung zunehmend eskalierte, da sich Neesons Figur Mills vor den Augen des Publikums unaufhaltsam vom Verlierer zum brutalen Mörder wandelte, ist der zweite Teil gezwungen eine andere Richtung einzuschlagen, da die Zuschauer_innen mit Minute eins bereits wissen wozu dieser Mann fähig ist. Die nötigen Geheimnisse, die Teil eins so unvorhersehbar machten und Besson/Kamen auf eine simple Story zurückgreifen ließen, fehlen nun völlig und so musste das Drehbuch zwangsläufig komplexer werden, mehr Figuren und mehr Wendungen mussten her. Aus der Vater-rettet-Tochter-aus-den-Händen-fieser-Menschenhändler-in-Paris-Geschichte wurde nun ein symmetrischer Selbstjustiz-Film. Einer der Väter der von Mills im ersten Film ermordeten albanischen Menschenhändler sinnt nun auf Rache und macht sich mit einem Killertrupp auf den Weg nach Istanbul, wo Mills gerade einen Bodyguardjob hat. Unerwartet bekommt er dort Besuch von seiner Tochter und seiner Exfrau. Es kommt wie es kommen musste. Mills und seine Ex werden entführt und nun muss die Tochter zur Tat schreiten um ihre Eltern zu retten. Dazu gesellen sich noch andere wirre Handlungselemente, wie das ausgestellt kluge Spiegeln der beiden Selbstjustiz-Seiten und eine unnötig lange Exposition, die nur erzählt, dass Töchterchen jetzt einen Freund hat und Papa lernen muss loszulassen, was aber nicht so schlimm ist, da seine Exfrau wieder eindeutige Avancen macht. Das nächste weibliche Wesen zum beschützen steht also bereits in den Startlöchern. Ärgerlich wie die Autoren mit diesen konservativen Heile-Welt-Abziehbildern bereits zu Beginn die ganze Klasse des ersten Teils in die Tonne kloppen.

Dennoch darf man dem Drehbuch nicht vorwerfen es würde nicht genügend Möglichkeiten für Actionsequenzen bieten. Die gibt es zuhauf, doch leider greift da der zweite folgenschwere Faux-Pas des Films, das Engagement Olivier Megatons als Regisseur. Der Kopf hinter u.a. „Transporter 3“ ist nicht im geringsten ein so guter Actionregisseur wie sein Kollege Pierre Morel. Kameramann Romain Lacourbas, den Megaton gleich mitgebracht hat, filmt fast alles mit dem übersichtsarmen Teleobjektiv und der Schnitt ist mehr damit beschäftigt dem Tempo des UpBeat-Soundtracks zu folgen als wirklich Bilder in Bezug zueinander zu stellen. Teilweise fängt man wirklich an die berüchtigte Zeitlupe zu vermissen, um überhaupt einmal hinterher zukommen. Man will doch eigentlich nur verstehen, wie der Mann da gerade gestorben ist, woher die Schüsse kamen oder wo überhaupt wer im Raum steht. Megaton findet das nicht wichtig. Hauptsache es knallt.

Das gelingt dem Film an einer Stelle sogar auf komische Art, wo das alberne Drehbuch und die planlose Regie Hand in Hand arbeiten. In einer Szene rennt die Tochter über die Dächer Istanbuls und versucht ihren Vater mithilfe von Granaten zu finden. Sie wirft eine nach der anderen irgendwohin und aufgrund des Explosionsschalls, sagt ihr Vater am Telefon wie weit sie noch entfernt ist, quasi GPS auf islamistisch oder so, was ganz gut ins islamfeindliche Weltbild von Besson und Co passt. Während der erste Film nur mit Mühe rassistisch gedeutet werden konnte, legt der zweite eine Schippe drauf. Der Ausflug nach Istanbul nimmt hier schon fast Slowakei-Ausmaße wie in Eli Roths „Hostel“ an, nur ohne dessen ironische Brechungen. Bei Besson trägt wirklich jede Frau in Istanbul ein Kopftuch, niemand ist hilfsbereit oder kommunikativ und wenn, wie in der Szene davor Granaten explodieren, dann interessiert sich dafür auch niemand, ist man ja gewohnt im Orient, oder was? Auch die folkloristische Musik, die laut über jede Stadt-Totale gelegt wird und einem Klagelied ähnelt, verdichtet nur das Bild eines Istanbuls als fremde Hölle aus dem es für die amerikanische Mittelstandsfamilie kein Entkommen gibt. Im ersten Film war noch das Geld an allem Schuld. Da waren die albanischen Menschenhändler nur am Ende der Kette aus bösartigen Menschen, die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zog. „96 Hours – Taken 2“ macht es sich da ein wenig einfacher. Da ist einfach jeder böse, der „Salam Aleikum“ sagt, ekelhaft.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 2/10

"96 Hours - Taken 2"
FR 2012
Olivier Megaton
mit Liam Neeson, Maggie Grace, Famke Jannssen

Donnerstag, 20. September 2012

RESIDENT EVIL: RETRIBUTION


"Mein Name ist Alice."

Beim Überfall der Umbrella-Corporation auf Arcadia wird Alice ins Meer geschleudert und wacht in einem riesigen unterirdischen Komplex wieder auf. Sie ist eine Gefangene, doch ein Rettungstrupp ist schon auf dem Weg, um sie dort raus zu holen. Komme, was wolle.

Milla Jovovich: Gesicht von Filmen, Kosmetik, Mode und schöner Musik, keine andere Schauspielerin verbindet besser zarte Unschuld mit brachialer Action, martialische Stärke mit sanfter Anmut. So etwas konnte nur einer Frau gelingen, die mit einem Bein im Genrekino und mit dem anderen auf den Billboards dieser Welt steht. Der Star-Fotograf Peter Lindbergh ließ sie in einer Bilderserie in Science-Fiction-Manier dem Unbekannten begegnen, apokalyptische Bilder, Nebel, Laternenlicht und verbeulte Autos. Diese Reihe entstand kurz vor „Resident Evil“ und zeigte bereits wie hervorragend sich Jovovichs Gesicht als Spiegel der Bedrohung eignet.

Ihre Alice bleibt symptomatisch für den Wandel des Actionkinos, das sich immer mehr von der harten Körperlichkeit verabschiedet und den organischen Fluss choreografierter Zeitlupentänze sucht. Es verwundert auch nicht, dass in vielen Hollywoodproduktionen diese Sparte Frauen die tragenden Rollen spielen. Das Körpergefühl ist anders, eng anliegende Kostüme und nie versiegende Schönheit, ganz egal wie verletzt sie sind. Dass solche Filme meistens von Männern gedreht werden, sollte nicht unerwähnt bleiben, doch abseits geschlechtlicher Klischees kreieren diese Filme dennoch ein Frauenbild, dass inspiriert und begeistert. Keine Frau in „Resident Evil“ fühlt sich genötigt zu den „Waffen einer Frau“ zu greifen und keiner ihrer männlichen Begleiter hat auch nur halb soviel Substanz, geschweige denn Stärke. Sie wirken eher wie Statisten, die den Zombies als Futter dienen. Obwohl sich heutige Heldinnen weit von Vorbildern wie Sigourney Weavers Ripley entfernt haben, verkörpern sie ein Bild, das ihnen kein Action-Held mehr nehmen kann, eben diese interessante Schnittmenge aus Glanz und Brutalität.

Das muss man den „Resident Evil“-Filmen zugute halten, ebenso ihrem „Mastermind“ Paul W.S. Anderson, der sich nun endgültig in der Vertrashung des Genres gemütlich gemacht hat und das mit dem bereits fünften Teil des Franchises eindrucksarm beweist. Es erstaunt schon, wie es einem Regisseur gelingt, auch das größte Feuerwerk am Zuschauer gänzlich vorbei zu inszenieren. Meistens reagiert man auf das Geschehen ohnehin nur mit Gelächter. Genügend Gelegenheiten gibt es ja. Abgesehen von ein oder zwei fetzigen Sprüchen, die Alice über die Lippen gehen, versinken doch die restlichen Gags im Reich der unfreiwilligen Komik. Irgendwann kommt es bei jeder Actionsequenz zu dem Punkt, an dem es zu absurd wird, um darüber nicht zu lachen, wobei ich Anderson nicht unterstellen will, das sei unbeabsichtigt. Alles ist möglich. Unverzeihlich finde ich dagegen den offenkundigen Verzicht auf eine Handlung und damit meine ich eine Erzählung, die der Reihe auf die Sprünge hilft. Andersons Drehbuch fungiert leider nur als großes retardierendes Moment, als Luftblase, die auf das Finale vertröstet, welches hoffentlich mit dem sechsten und letzten Teil eintritt, ganz egal wie erfolgreich diese Filme auch sind. Bei kommenden Videoabenden jedenfalls kann man sich den fünften Film getrost sparen und nach dem vierten gleich den sechsten in den Player schieben.

Vielleicht sollte das Publikum auch den Titel des Films ernst nehmen und sich von Paul W.S. Anderson mit diesem Machwerk bestraft fühlen, moralisch gerechtfertigt durch den Kauf der Kinokarte. Wer dennoch auf Nicht-Geschichten im Billig-CGI-Gewand und absurder Action inklusive fescher 3D-Effekte steht, sollte sich von meinem Urteil nicht abhalten lassen. Die „Resident Evil“-Reihe bleibt sympathischer Bodensatz und hochbudgetierter Dilettantismus mit der besten Heldin aller Heldinnen. Vielleicht liegt es auch einfach an Milla Jovovichs Augen, die Alice erst zu dem machen, was sie ist. Ihr Blick verweist auf die Oberfläche und gleichzeitig alles darunter, also perfekt für's Kino und zu gut für einen Film wie diesen.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 3/10


"Resident Evil 5: Retribution"
DE, CA 2012
Paul W.S. Anderson
mit Milla Jovovich, Michelle Rodriguez, Kevin Durand

Donnerstag, 23. August 2012

THE CABIN IN THE WOODS


Du denkst, du kennst die Geschichte.

Angst kommt immer unvorbereitet, immer genau dann, wenn man es nicht will. So scheinen Horrorfilme erstmal wenig Sinn zu machen. Man löst ein Kinoticket um sich zu fürchten. Man weiß, was einen erwartet und benimmt sich wie ein Klugscheißer. Da man nicht zulassen will, dass der Film einem Angst macht, lacht man über ihn, hält das Verhalten der Protagonisten für unglaubwürdig und alles für vorhersehbar. Natürlich ist das nur die eine Seite der Medaille. Viele Horrorfilme sind leider auch schlecht und bedienen mehr die Abwehrtechniken des Verstandes als den Affekt der Angst. So entstand eben das Bild, dass Horrorfilme mehr Komödien, mehr Trash als Film und Müll statt Kunst seien. Kein anderes Genre wird so gerne zerpflückt, wirkt so banal, hat so viele Gesichter und macht sich so leicht angreifbar.

In den letzten Jahren hat sich der Horrorfilm mit seinen Remakes und Sequels weit ins Abseits katapultiert. Behaupten wir mal das Genre sei tot, dann ist Drew Goddards „The Cabin in the Woods“ der Film über den Tod des Horrorfilms, wenn er nicht gerade selbst damit beschäftigt ist die Klinge tiefer zu bohren und genüsslich umzudrehen.

Fünf Studenten, die blonde Nymphe, die Sportskanone, der Streber, der Kiffer und die scheue Jungfrau, fahren in die Wälder um dort ein Wochenende in einer Hütte zu verbringen und Spaß zu haben. So viel sei verraten. Das Wochenende wird nicht so rosig. Menschen werden sterben. Das wussten sie schon? Ich auch, darum geht es. Kurz davor gibt es eine verwirrende Einführung. Zwei Schlipsträger laufen durch die Flure einer Hightech-Basis und unterhalten sich über ihr Privatleben und die Wichtigkeit ihrer Arbeit. An einer unbedeutenden Stelle gefriert das Bild und der Titel erscheint in großen roten Lettern wie ein Schock. Dann beginnt die eingangs beschriebene Backwood-Story.

Alles was in der Inhaltsangabe steht, klärt sich bereits in den ersten zehn Minuten auf. Wie hängen diese zwei Welten, das Bekannte und das Unbekannte, zusammen? Der Film zieht nicht nur seinen Schrecken, sondern auch seinen Humor aus dieser Gegenüberstellung. Es ist ein Spiel der Erwartungen, das die beiden Autoren Whedon und Goddard hier spielen und sie benehmen sich wie die verhassten Klugscheißer. Sie meinen das Genre, seine Stärken und Schwächen zu kennen und pressen alles durch den Fleischwolf. Das Marketing verspricht sich dadurch „Unvorhersehbarkeit“. Ist das denn überhaupt wichtig? Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass dies nicht der Reiz von „The Cabin in the Woods“ ist und ein striktes Spoilerverbot gilt hier ganz besonders, aber man sollte Goddards Film nicht nur als Versuch anerkennen einen witzigen und unvorhersehbaren Meta-Horrorstreifen zu machen. Hier geht es um viel mehr.

Unsere Hassliebe zum Genre ist ein Thema. Wir hassen es, wenn wir den zwanzigsten Aufguss der gleichen Geschichte sehen, aber wir lieben auch das Vertraute. Wir meinen die Geschichte zu kennen und warten nur darauf, dass man uns ein Messer in den Rücken sticht. „The Cabin in the Woods“ lotet all diese Irrsinnigkeiten aus, führt sie vor, reflektiert und ordnet sie neu. Figuren, die unglaubwürdig handeln, haben nun einen guten Grund dazu. Der Wunsch des Zuschauers, dass die Charaktere sterben, findet ebenso seinen Platz. Das Publikum selbst ist im Film dabei, ähnlich wie in Quentin Dupieuxs „Rubber“, und Whedon/Goddard nutzen es zur maliziösen Manipulation. Da niemand gesagt bekommen möchte, was er zu fühlen hat, reagiert der echte Zuschauer gerne anders als das Publikum im Film. Wenn es über seine „Versuchskaninchen“ lacht, erzeugt das Mitleid und umgekehrt. Die Zuschauer im Film sind Arschlöcher. Sie sind die wahren Antagonisten. Das Spiel mit dem Publikum ist nur eine der brillanten Wege des Films den Tretminen des Genres auszuweichen.

Ganz egal wie genial solche Metaspielereien auch sind oder wie man es geschafft hat das Klischee des Klischees vom Klischee zu überlisten. Am Ende stellt sich die Frage, ob „The Cabin in the Woods“ nicht eher ein Film ist, der Grenzen festlegt als sie zu durchbrechen, der hämisch lacht, wenn er sieht, dass es nicht mehr weitergehen kann. Das ist die Gefahr, postmodernes Fieber. Niemand würde verleugnen, dass Whedon und Goddard ihre Vorlagen nicht mögen. Sie suhlen sich ja nur so in Zitaten, in einer blood orgy of references, doch ihr Film ist auch eine deutliche Dekonstruktion. Sie schaden ihren Vorbildern, allerdings auch nicht mehr als es nicht schon die zig Remakes und Sequels getan haben.

Kein anderer Horrorfilm der letzten Zeit hat seiner Vergangenheit so sehr gehuldigt, wie er sie gleichzeitig verachtet hat. Der Schlussstrich ist deutlich. Nach diesem Film kann man nicht mehr einfach zurückkehren zu Jason und Co. Beinahe ärgerlich, wenn es Whedon und Goddard nicht ohnehin um die Zerstörung alter Werte gehen würde. Nun gut, die beiden Klugscheißer machen es sich zwar ein wenig leicht, wenn sie die Verantwortung in andere Hände geben und fröhlich die Einrichtung im Horrorfilm-Kabinett zerschmettern, aber jeder zerstörerische Akt ist ebenso kreativ. Die alte Welt geht unter und eine neue entsteht. Der politische Subtext ist ganz klar zu lesen. Die Anarchie des Horrorfilms ist da.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 8,5/10


"The Cabin in the Woods"
USA 2012
Drew Goddard
mit Chris Hemsworth, Kirsten Connolly, Richard Jenkins

Dienstag, 14. August 2012

WHAT TO EXPECT WHEN YOU'RE EXPECTING


Von Lügen und dicken Bäuchen...

Das Wunder der Geburt ist eine ziemlich gewöhnliche Sache hinter der sich Erwartungen, Klischees, ein ganzer Industriezweig und eine Millionen Jahrelange Tradition verbergen. Also so ganz wunderlich ist das nun wirklich nicht. Der britische Komödienspezialist Kirk Jones („Lang Lebe Ned Devine!“) hat nun einen Episodenfilm über dieses „Wunder“ gedreht, eine große romantische Komödie mit Starbesetzung.

„Was passiert, wenn's passiert ist“, das ist die Verfilmung eines erfolgreichen, gleichnamigen Sachbuchs, das praktisch als die Bibel der Schwangerschaft gilt. Die Autorin des Bestsellers, Heidi Murkoff, hat auch am Drehbuch gearbeitet und die Vielfalt der Fortpflanzung in verschiedene Geschichten gegossen, die vom verhängnisvollen One-Night-Stand und der späten Schwangerschaft bis zur Adoption reichen. Alles was man am Rande, aber selten explizit, in den vielen anderen Filmen in den Paare Kinder kriegen schon gesehen hat, kommt hier nun zusammen, die typischen Vaterängste, die Überforderung, die Last der Verantwortung und Existenzprobleme. Das klingt jetzt ziemlich dramatisch, ist es aber nicht. Der Film ist eine Komödie.

Kirk Jones passt sich wie ein Chamäleon dem despektierlichen Genre des „Frauenfilms“ an. Ich mag dieses Wort auch nicht, aber irgendwie passt es zu „Was passiert, wenn's passiert ist“. Die Zielgruppe wird hier deutlich markiert und Jones schafft es trotzdem daraus einen Film zu machen, der auf vielen Ebenen für Lacher sorgt und auch die männliche Seite nicht außen vor lässt. Vorallem merkt man das an der Daddy-Gang, die aus verschiedenen Vätern besteht, die zusammen abhängen und sich um ihre Babies kümmern. Sie reden über ihre Beziehungen und die Vorfälle, wenn das Kind mal vom Wickeltisch gefallen ist oder eine Zigarette gegessen hat. Das Heiligtum Kind, das höchste Gut, das man stets beschützen sollte, erfährt hier eine realistische Relativierung. Es ist schwer ein guter Vater zu sein. Fehler passieren.

Bei den Frauen spielen sich dennoch die größten Dramen ab. Die interessanteste Geschichte ist die mit Elizabeth Banks, einer Art Alter Ego der Buchautorin. Sie gilt als Schwangerschaftsguru, besitzt einen Laden für Baby-Artikel und hat es nun endlich geschafft, nach zwei Jahren, mit ihrem Mann selbst ein Kind zu zeugen. Sie erlebt aber alles andere als eine Bilderbuch-Schwangerschaft und quält sich mit Hormonschwankungen, Schmerzen und Körperausscheidungen. Ihre eigenen Erlebnisse wirken wie das dunkle Spiegelbild all der sterilen Schwangerschaftsfantasien, wie man sie aus Filmen und Werbespots kennt.

Das beste an Kirk Jones Film ist wirklich, dass er mit vielen Klischees aufräumt, dass er versucht dem ganzen Drama, dass zum einen etwas besonderes, aber auch etwas sehr gewöhnliches ist, einen Reality-Check zu verpassen. Er versucht ehrlich zu sein. Umso schwieriger tut sich der Film mit der Jennifer-Lopez-Episode. Sie ist die einzige, die nicht das Gesicht verliert. Weil sie keine Kinder bekommen kann, will sie ein Kind adoptieren und zwar aus Äthopien. Sofort muss man an die berühmten Adoptionsfälle Madonnas oder Jolies denken. Der Film nutzt diese Geschichte aber nicht um auf diese Diskussion zu verweisen, sondern nur um dem Kitsch und dem Exotismus zu frönen. Äthopien ist hier ein wundervolles Land in dem die ewig lächelnde Bevölkerung nur darauf wartet ihre Kinder an weiße Menschen aus dem Westen abzugeben. Plötzlich kommt wieder ganz deutlich die Zielgruppe in den Sinn, die Industrie und das Hollywood-Ethos.

„Was passiert, wenn's passiert ist“ ist eben doch nur eine typische Hollywood-Megaseller-Komödie, wo alles bereits in trockenen Tüchern ist. Es gibt sie zwar, die Überraschungen, die guten Gags und Lacher, aber das wurde auch alles mit einer reaktionären Soße mariniert. Es wäre doch zum Beispiel interessant gewesen ein gleichgeschlechtliches dabei zu sehen, wie es ein Kind adoptiert, aber das bleibt wohl Wunschdenken. Was wäre wohl passiert, wenn das passiert wäre? Kann dazu mal jemand ein Buch schreiben?

Erschienen auf CinemaForever

Wertung: 5/10

"Was passiert, wenn's passiert ist"
USA 2012
Kirk Jones
mit Jennifer Lopez, Elzabeth Banks, Cameron Diaz

Donnerstag, 9. August 2012

PROMETHEUS


Die dunklen Zeichen sind überall. Monsterkindergärten, blutige Abtreibungen, Gottestod, in Ridley Scotts langerwartetem Sci-Fi-Spektakel geht es wild zur Sache.

Der „Alien“-Background wirkt im Nachhinein wie ein schlechter Marketing-Gag. Anfangs als offizielles Prequel angekündigt, wurde spätestens mit dem Titel „Prometheus“ offenbart, dass man doch was anderes vor hat. Gut, nun spielt Ridley Scotts neuer Film eben im selben Universum, aber wirklich viel gemein haben beide Filme nicht. Zwar orientiert sich „Prometheus“ visuell sehr stark am legendären Klassiker und nutzt auch eine ähnliche Dramaturgie, die sich nach dem Ableben der Crew richtet, dennoch macht der Film mit der ersten Szene klar, dass die Reise ganz wo anders hingeht.

Allein das erste Bild ist ein 1:1-Zitat aus Stanley Kubricks „2001“, danach folgt wie im Klassiker von 1968 eine Montage karger Landschaftsaufnahmen, die uns direkt zum Ursprung der Menschheit führen soll. 1979 als Ridley Scotts „Alien“ erschien, gab es kaum eine Nähe zu Kubricks Meisterwerk. Scotts Sci-Fi-Verständnis war ein anderes und ein originäres, was selbst später oft zitiert wurde, doch nun mit „Prometheus“ geschieht ein Quasi-Schulterschluss mit „2001“, was sehr verwirrend ist bzw. symptomatisch für den ganzen Film.  

„Prometheus“ ist einer der ungewöhnlichsten postmodernen Sci-Fi-Filme der letzten Jahre und ein ebenso schräger Blockbuster. Das „Alien“-Franchise dient hier wirklich nur als Nerd-Pleaser und kommerzielle Existenzberechtigung. Anders könnte man es sich nicht erklären, wie diese Megaproduktion überhaupt grünes Licht bekam. Genretechnisch und ästhetisch bleibt „Prometheus“ das gewünschte „Alien“-Prequel. Inhaltlich dagegen bewegt sich Scott mehr in Richtung der populären Sci-Fi-Literatur, rund um Space Operas und Ersatzreligionen. Wissenschaftlicher Hokus-Pokus, Nerd-Märchen und Sci-Fi-Fantasie mehr ist und will „Prometheus“ nicht sein. Das Beharren des Films stetig Verweise auf kommende Teile zu liefern und seine zig Fragen in unausgegorenen Anspielungen zu ertränken, erinnert eher an beliebte Groschen-Sci-Fi-Hefte in Serie. Kubrick machte damals aus Clarkes Roman einen Avantgarde-Film. Scott macht aus den großen Fragen der Menschheit einen populären Unterhaltungsfilm, wobei der Film, entgegen den Blockbuster-Regeln unserer Zeit, unangenehm offen bleibt und den Zuschauer dazu nötigt nachzudenken.

Scotts Film behandelt so vieles auf einmal. Es ist unklar, was er überhaupt erzählen will. Ursprung, Evolution, Robotik, in „Prometheus“ knallt das alles aufeinander in einem Sci-Fi-Horror-Mix, wie ihn die „Alien“-Fans erwarten, inklusive einer toughen Heldin. Noomi Rapace meistert Sigourney Weavers Schatten ungemein gut. Ohnehin interessiert sich der Film nur für zwei Figuren, sie und den Roboter, der von Michael Fassbender grandios interpretiert wird. David ist Fremder und dennoch Eingeweihter. Sein Name bezieht sich wahrscheinlich auf David Lean, den Regisseur von „Lawrence of Arabia“, den Fassbenders Figur am Anfang schaut und dessen Hauptfigur er sogar versucht nachzuahmen. Bis zuletzt bleibt David ein ambivalentes Wesen in seinem berührenden Drang den Menschen zu imitieren und dennoch emotional unnahbar zu bleiben. Er ist ein entrückter Charakter, der einzige wohlgemerkt dem man zutraut alle Geschehnisse völlig zu verstehen. Was David nun eigentlich dem „Engineer“ gesagt hat, bleibt auch wohl immer ein Geheimnis. Ein weiteres Geheimnis auf der Liste der vielen Geheimnisse, die „Prometheus“ vollkommen absichtlich schreibt.

Irgendwie erinnert das ganze an einen „The Tree of Life“ des Genrefilms oder zumindest an einen kommerziellen „2001“-Mutanten. Bei „The Dark Knight Rises“ und „The Hobbit“ konnte man sich denken, was man kriegt. „Prometheus“ zerstört diese Vorstellungen völlig, weshalb man den Film wohl mögen wird oder eben nicht. Trotzdem ist es doch gerade toll, mal wieder einen Blockbuster zu sehen, der nicht wie „Malen nach Zahlen“ aussieht. Ein Film, der sich nicht völlig nackig macht, der seine Furunkel und Geschwülste nur durch den hauchdünnen Stoff andeutet und auf das nächste Date vertröstet. „Prometheus“ ist ein Film der Wucherungen, voller Unkraut und spitzen Steinen, prätentiös, überladen und wundervoll.

Eine weitere Kritik gibt es auf CinemaForever

Wertung: 8/10

"Prometheus - Dunkle Zeichen"
US 2012
Ridley Scott
mit Noomi Rapace, Michael Fassbender, Charlize Theron


Mittwoch, 1. August 2012

THE MUSIC NEVER STOPPED



"Sie wissen doch wie das ist, wenn man einen Song hört durch den man in eine andere Zeit versetzt wird."

Musik ist wahrscheinlich die einzige Kunstform mit der jeder etwas anfangen kann oder um es wie David Carradine in „Kill Bill“ zu sagen: „Everyone likes music.“ Wahrscheinlich könnte jeder ein Medium nennen auf das er bereitwillig verzichten könnte. Musik wäre wohl nie darunter. Das Kino wollte schon immer etwas von dieser Liebe abhaben. Schon zu Beginn wurden Stummfilme durch Live-Musik erträglicher gemacht. Später im Tonfilm verschmolz beides endgültig miteinander und das Musical-Genre scheint den absoluten Gipfel darzustellen.

Kino-Debütant Jim Kohlberg weicht diesem Gipfel wissentlich aus. „The Music Never Stopped“ ist ein Liebeserklärung an die Musik wie jedes Musical auch, doch nicht im Sinne der Form, sondern des Inhalts. Erzählt wird die Geschichte von Henry (J.K. Simmons), dessen Sohn Gabriel (Lou Taylor Pucci) vor Jahren verschwand und nun aufgrund einer Operation zurückgekehrt ist. Gabriel hat einen Gehirntumor, der ihm erfolgreich entfernt wird, doch sein Kurzzeitgedächtnis erleidet irreparable Schäden. Er kann sich nur noch an Ereignisse, speziell der Musik, aus der Vergangenheit erinnern, an die Flower-Power-Zeit als er und sein Vater sich immer häufiger stritten, bis es zum Bruch kam.

Kohlbergs Film basiert auf einem wahren Fall, den der Autor des zugrundeliegenden Buches untersucht hat. Gabriel im Film ist es fast unmöglich nach der Operation mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Sein Vater engagiert eine Musiktherapeutin, die entdeckt, dass sich der Sohn öffnet sobald er Musik hört, die ihn damals berührte. Der Film erzählt anhand bestimmter Songs die Familiengeschichte nach und springt immer wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Letztendlich geht es um einen simplen Generationenkonflikt, das Aufbegehren gegen den Vater und die spätere Zusammenführung. Scheinbar unüberwindbare Konflikte, die durch die Kraft der Musik, oder eher unserer Projektion von Musik, aufgelöst werden. Die Schauspieler wie auch das Drehbuch sind ständig damit beschäftigt uns zu erklären warum die und die Musik so hervorragend ist. Teilweise fühlt sich „The Music Never Stopped“ wie Musikunterricht an.

Hält man sich vor Augen, dass diese Geschichte so ähnlich passiert ist, bleibt sie etwas besonderes, doch ehrlich gesagt, ist es für einen Spielfilm ziemlich unerheblich ob er auf einer wahren Begebenheit beruht oder nicht. Wenn der Film läuft, denkt darüber niemand mehr nach. Vollkommen nackt betrachtet, geht es leider wirklich nur um die altbekannte Geschichte zwischen Vater und Sohn, was sich umso stärker zeigt, sobald die Mutter und die Musiktherapeutin in der zweiten Filmhälfte kaum noch auftauchen. Damit ist auch das Interesse am realen Fall reine Pose. Kohlberg übt sich dagegen in Gefühlskino, orchestriert die Tränen seiner Zuschauer wie Musik. Wenigstens bekommen die Schauspieler etwas zu tun. Dabei ist es wirklich schön J.K. Simmons mal in einer großen Rolle zu erleben und ihn nicht nur auf der Tribüne der Supporting Actors zu erspähen.

Ich frage mich dennoch immer öfter, was das Problem mit solchen Filmen wie „The Music Never Stopped“ ist. Sie sind handwerklich makellos und machen wahrscheinlich auch jeden Abschlussjahrgang einer Filmhochschule stolz, trotzdem wirken diese Filme immer etwas billig auf mich. Was nützen tolle Schauspieler und großes Handwerk, wenn sie nur für ein paar Liter Tränen eingesetzt werden? Umso ärgerlicher ist es doch, dass die meisten dieser Tränen zum Schluss wieder getrocknet sind, da der Film ja immer mit einem leicht tragischen Happy-End schließen muss. Das ist die Formel. Doch was will uns Kohlberg zum Schluss überhaupt sagen? Dass Musik großartig ist? Das wissen doch schon alle. Jeder mag Musik.

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 4/10

"The Music Never Stopped"
US 2011
Jim Kohlberg
mit J.K. Simmons, Julia Ormond, Lou Taylor Pucci 

GESEHEN IM JULI 2012



Illuminata - 6/10  
(US 1998, John Turturro)

Zeit der Unschuld - 7,5/10
(US 1993, Martin Scorsese)

Das goldene Zeitalter - 8/10
(FR 1930, Luis Bunuel)

Die zwölf Geschworenen - 9/10
(US 1957, Sidney Lumet)

French Connection - 8/10
(US 1971, William Friedkin)

Der Dialog - 9,5/10  
(US 1974, Francis Ford Coppola)

Was passiert, wenn's passiert ist - 5/10  
(US 2012, Kirk Jones)

September - 6,5/10  
(US 1987, Woody Allen)

Carrie - 6,5/10 
(US 1976, Brian De Palma)

Woody Allen: A Documentary - 6/10  
(US 2011, Robert Weide)

The New World - 7/10  
(US 2005, Terrence Malick)

Super 8 - 6/10  
(US 2011, J. J. Abrams)

The Dark Knight Rises - 7/10  
(US 2012, Christopher Nolan)

The Music Never Stopped - 5/10  
(US 2011, Jim Kohlberg)

Polizeiruf 110: Cassandras Warnung - 8/10  
(DE 2011, Dominik Graf)

Clerks - 7/10  
(US 1994, Kevin Smith)

Chicago - 4/10  
(CA/US 2002, Rob Marshall)

Sleep Tight - 6/10  
(ES 2011, Jaume Balagueró)

Der Exorzist - 6/10  
(US 1973, William Friedkin)

Chloe - 4/10
(CA/FR/US 2009, Atom Egoyan)

Endlich sind wir reich - 4,5/10  
(GB 1931, Alfred Hitchcock)

Contagion - 7/10  
(US 2011, Steven Soderbergh)

Sonntag, 29. Juli 2012

THE CONVERSATION


"You're not supposed to feel anything about them."

Es gibt so viele Beispiele für Filmemacher, die am Anfang ihrer Karriere strahlend leuchten und dann immer mehr verglimmen. Francis Ford Coppola ist sehr wohl Teil dieses Kreises. Sein Abstieg ist einer der steilsten. Wie so viele Filmemacher des New-Hollywood war auch er Teil der Roger-Corman-Schmiede, lernte dort das Handwerk und realisierte erste Filme. Der Durchbruch kam dann mit „Der Pate“ und dem eindringlichen Nachschlag „Der Pate II“. Beide Filme räumten wie verrückt bei den Oscars ab. Coppola bekam alle Freiheiten und drehte „Der Dialog“, einen minimalistischen Thriller über einen Abhörspezialisten.

Harry Caul (Gene Hackman) lebt für den Beruf. Sein Privatleben ist auf das mindeste reduziert, gerade soviel um nicht wahnsinnig zu werden, könnte man meinen. Für ihn sind die Menschen, die er abhört, bloße Stimmen. Er kennt sie nicht, will sie nicht kennen lernen, doch ein neuer Auftrag ändert alles, da er Harrys dunkle Vergangenheit heraufbeschwört und der Profi beginnt seine eigenen Regeln zu brechen.

Allein beim Lesen der Inhaltsangabe werden die weitreichenden Verweise von Coppolas Film klar. Nicht ohnehin fühlt man sich an den letzten großen deutschen Oscar-Gewinner „Das Leben der Anderen“ erinnert. Auch Christopher Nolan hat sich für sein Debüt „Following“ wahrscheinlich hier bedient. Dabei erzählt der „Der Dialog“ gar keine neue Geschichte. Die Wurzeln des Films liegen bei Hitchcock und dem Film noir. Es ist eine reizvolle Erzählung über Überwachung, soziale Codes und Obsession. Dazu kommt die Bedeutung des Films als Zeitdokument. Coppola zeichnet Nixons Amerika, was ja ein Amerika des Misstrauens war. Der Watergate-Skandal in Form einer Parabel über einen Abhörprofi, der die Welt zu interpretieren versucht und daran kläglich scheitert.

Es gibt keine Szene in der Harry Caul nicht zu sehen ist. „Der Dialog“ bleibt stets subjektiv und daher täuschend. Caul ist wiederum auch nur ein Zuschauer, wie wir. Coppola arbeitet klar mit filmischen Codes, verwendet überwiegend Teleobjektive und voyeuristische Perspektiven. Der Zuschauer beobachtet Harry. Harry beobachtet ein Paar im Park. Zwei Ebenen, die sich spiegeln, wobei es Harry, wie auch uns, schwer fällt menschliches Verhalten zu deuten. Somit erarbeitet Coppola in seinem Film auch eine Kritik am Kinobild, das letztendlich oberflächlich bleibt. Ein Blick unter die Haut ist nicht möglich, theoretisch jedenfalls.

Es gibt einen Moment im Film in dem der Blick Harrys und der Blick des Zuschauers divergieren, wo beide Ebenen nicht mehr kohärent zueinander sind. In einer Traumsequenz gibt uns Coppola Einblick in Harrys Seele. Seine Ängste werden nun ganz deutlich. Der Mann, der für viele nur ein Rätsel ist, kommt uns auf einmal sehr nahe. Wir können nun unter Harrys Haut sehen, doch er kann es nicht. Die Tragödie ist vorprogrammiert.

In Coppolas Werk nimmt „Der Dialog“ eine Sonderstellung ein, ähnlich wie „Punch-Drunk Love“ von Paul Thomas Anderson. Beide sind kleine Produktionen, die zwischen fast megalomanischen Filmen entstanden sind. Coppola verschwand nach dem Film drei Jahre im Dschungel und kehrte mit „Apocalypse Now“ wieder, einem Film, der schier alle Grenzen bricht. „Der Dialog“ ist, wie eingangs erwähnt, eher ein minimalistischer Thriller, kein Film, der vor Spannung zerbirst, aber ein Film mit ungemeinen Suspense. Es geht um das große Dilemma: „Kann ich dem trauen, was da auf der Leinwand passiert?“ Auch bekannt als der Leitsatz des 70er-Jahre-Kinos: „Nichts ist wie es scheint.“

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 9,5/10

"Der Dialog"

USA 1974
Francis Ford Coppola
mit Gene Hackman, John Cazale, Harrison Ford

Freitag, 20. Juli 2012

TO ROME WITH LOVE



"Der Junge ist Kommunist. Der Vater ist Bestatter. Leitet die Mutter eine Leprakolonie?"

Es erstaunt immer wieder, wie es Woody Allen, mittlerweile 76 Jahre alt, schafft jedes Jahr einen neuen Film auf die Leinwand zu bringen. Früher war das ja noch einfacher. Heute erfordert es aber weit mehr Kraft einen Film auf den Weg zu bringen, ihn also praktisch überhaupt drehen zu können, was man in besonderen Ausprägungen ja an den Zeitspannen zwischen den Filmen Paul Thomas Andersons oder Terrence Malicks sehen kann. Nur Woody Allen, bei ihm scheint die Zeit stehen geblieben, er dreht unbeirrt weiter und erfreut und ärgert uns gleichermaßen jedes Jahr aufs neue.

Im amerikanischen Kino nahm Allen schon immer eine Sonderstellung ein, was nicht nur an seiner topografischen Distanz zur Traumfabrik liegt, sondern auch an seiner starken Verbundenheit zum europäischen Kino. So etwas wie Woody Allen, das konnte nur während des „New-Hollywood“ entstehen und während vieler seiner Kollegen seit Ende der Achtziger nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, liest sich Allens Filmografie mehr wie ein Aufstieg der Karriereleiter. Allen ist heute weitaus populärer als Francis Ford Coppola und Co. Die Leute gehen gerne in seine Filme. Damit sind auch die Kritiker gemeint. So ähnlich war es wohl früher als man in einen Hitchcockfilm ging. Man wusste worauf man sich einstellen konnte. Allen ist Marke, Künstler und Produzent, ein Auteur, dessen Filme man bereits von weitem erspäht. Seit Anfang des neuen Jahrtausends sind Woodys Filme besonders erfolgreich. Seit seiner Neuorientierung mit „Match Point“, wo zuerst die Filmkritik verdutzt glotzen musste, wird jeder neue Film mit der Lupe beäugt. Mit „Midnight in Paris“ drehte er letztes Jahr sogar seinen größten Publikumserfolg und kam mal wieder in die unangenehme Lage einen Oscar zu gewinnen.

Nach so einem Film warten nun umso mehr Zuschauer auf das neue Werk des New Yorkers, der seine Europareise filmisch weiterführt. Nach London, Barcelona und Paris, ist nun also Rom an der Reihe. Im Vergleich zu seinen vorherigen europäischen Filmen erzählt Allen „To Rome with Love“ als klassischen Episodenfilm. Alle Geschichten sind miteinander verwoben und drehen sich, wie bei Woody Allen gewohnt, um Beziehungen, Kunst, den Tod, Vernunft und Gefühl. Da gibt es z.B. ein provinzielles junges Ehepaar, das nach Rom ziehen will. Als sich die Frau (Alessandra Mastronardi) in der Stadt verirrt, muss ihr verklemmter Ehemann (Alessandro Tiberi) aus Verzweiflung mit einer Prostituierten (Penélope Cruz) zur reichen Verwandtschaft und sie als seine Frau ausgeben. Neben vielen italienischen Stars, u.a. Ornella Muti und Roberto Benigni, hat Allen natürlich wieder zahlreiche Hollywood-Sternchen für seinen Film gewinnen können, von Legenden wie Alec Baldwin und Judi Davis bis hin zu Newcomern wie Jesse Eisenberg, Greta Gerwig und Ellen Page.

Hinter Allens Starrummel verbirgt sich allerdings nicht nur ein kommerzieller Gedanke. Wieder kommt die Verbindung zu Alfred Hitchcocks Kino in den Sinn, der Stars für seine Filme dringend brauchte um seine Figuren zu füllen. Schauspieler wie Cary Grant oder James Stewart waren bei Hitchcock immer auf die Rollen abonniert, die ihrem Image entsprachen. So brauchte er sich im Film nicht mit unnötiger Figurenzeichnung belasten. Die Stars füllten ihre Rollen automatisch aus. So ähnlich ist es auch bei Woody Allen. Jesse Eisenberg jedenfalls spielt wie erwartet den gehemmten Intellektuellen, der in ein Gefühlschaos geschleudert wird. Roberto Benigni verkörpert wortwörtlich den Durchsnittsitaliener, der von einem Tag auf den anderen zum Prominenten wird. Der Slapstick und Klamauk der Rolle ist auf ihn zugeschnitten. Umso klarer wird Allens Cast beim eigentlichen Besetzungscoup des Films. Es ist Woody Allen selbst. Seit sechs Jahren Leinwandabstinenz ist „To Rome with Love“ der erste Film in dem er mal wieder den Neurotiker spielt. Natürlich muss gesagt werden, dass dieser Besetzungsstreich beim restlichen italienischen Cast nur bedingt gelingt. Dafür wirken diese Charaktere mehr im Film verankert, wie für ihn geboren also, da sie nicht aus ihm herauswachsen.

Bleiben wir aber bei Woody Allens Figur, die archetypisch für sein komplettes Werk steht. So viel sei gesagt, wenn man viele seiner Filme kennt und mag, so entwickelte man über die Jahre eine Art Verbundenheit mit dieser Figur, so ist es auch gerade dieser Charakter, der im Film quasi wie ein Katalysator funktioniert. Sobald man Allen das erste Mal wieder sieht, werden Erinnerungen wach. Man wird sentimental und lacht herzhaft, ganz egal was er sagt. Die Besetzung in diesem Film ist ein Vorzeigebeispiel wie man mit Stars angemessen umgeht. Sie sind Selbstläufer und so erstaunt es nicht, dass auch „To Rome with love“ fast wie von selbst läuft. Die Dialoge drehen sich um gewohnte Inhalte und sind dennoch urkomisch. Die Figuren wirken wie aus der Retorte, funktionieren aber trotzdem bis ins Mark genau. Klar, es gibt Geschichten, die sind besser gelungen als andere. Das passiert den meisten Episodenfilmen. Schade ist nur, dass man das Gefühl bekommt, Woody Allen hätte der uninteressantesten von ihnen die meiste Screen-Time geschenkt. Die Dreiecksgeschichte um Eisenberg, Page und Gerwig, bekommt zwar durch Baldwins surrealistische Auftritte einen gehörigen Schuss Ironie, aber spannender wird sie dadurch trotzdem nicht, geschweige denn aufschlussreicher. Dennoch kann man sich in diesem Lustspiel wunderbar amüsieren. Allen weiß immer noch welche Knöpfe er zu drücken hat, doch irgendwie hat man auch das Gefühl er drücke nur abgenutzte Knöpfe.

Das ist kein neuer Anklagepunkt in Woodys Strafverzeichnis. Das gehört dazu, wenn man ein Auteur ist. Dafür weiß ja auch das Publikum mit was es rechnen kann, wenn es das Kino betritt, so wie bei Hitchcock. Allerdings hat sich die britische Regielegende stets einen Spaß daraus gemacht diese Erwartungen zu unterlaufen. Bei den meisten Hitchcockfilmen hatte man danach das Gefühl etwas neues gesehen zu haben. Das kann man von Allens neuem Film nicht sagen. Wie schon gesagt: „To Rome with Love“ ist ein tolle Komödie. Niemand wird hier schreiend aus dem Kino stürmen, aber gerade so nistet sich Allens Film in der Nische der berüchtigten Wohlfühlfilme ein, diese ominöse Schnittmenge an Filmen, wo sich makelloses Handwerk und inhaltliche Reibungsfreiheit vereinen, im Grunde die Erfolgsformel kommerzieller Arthousefilme. Keine schräge Zeitreise wie bei „Midnight in Paris“ oder schwergewichtige Dramatik ala „Match Point“. Vielleicht ist es auch ein bisschen zu viel verlangt von einem Regisseur sich jährlich bei jedem Film neu zu erfinden, aber ich schütte trotzdem Salz in die Wunde, gerade weil man damit rechnen muss, dass es Woody Allen bald nicht mehr geben wird. Dann reißt die Kette jährlicher Allenfilme einfach so ab, urplötzlich und ohne Vorwarnung. Also ganz ehrlich: Welcher Regisseur will einen Film wie „To Rome with Love“ als sein Vermächtnis haben?

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 5,5/10

"To Rome With Love"
USA/IT/ES 2012
Woody Allen
mit Alec Baldwin, Penélope Cruz, Roberto Benigni

Mittwoch, 18. Juli 2012

THE DARK KNIGHT RISES


"Gotham, take control... take control of your city. Behold, the instrument of your liberation! Identify yourself to the world!"

Vor genau acht Jahren schlüpfte Bruce Wayne (Christian Bale) zum letzten Mal in das Kostüm des dunklen Rächers. Seitdem ist es sehr still im Leben des Milliardärs geworden: Keine Partys, keine Wohltätigkeitsbälle und keine Damenbesuche mehr. Das ändert sich jedoch, als Gerüchte laut werden, dass sich im Untergrund eine Armee formiert, angeführt durch den brutalen und skrupellosen Söldner Bane (Tom Hardy). Bruce Wayne muss noch einmal die Rolle des schwarzen Rittes Batman schlüpfen, um Gotham vor der totalen Vernichtung zu bewahren. Doch kann es Batman mit einem Gegner wie Bane überhaupt aufnehmen?

Wie bei so vielen dritten Teilen von Trilogien, bezieht sich auch „Rises“ mehr auf den Ursprung, den ersten Film „Batman Begins“. Zum einen um eine Klammer zu schaffen und zum andern um den sträflich ignorierten Auftakt der Saga an die Trilogie zu binden. Den Bare-Bone-Realismus von „The Dark Knight“ mildert Nolan ein wenig. Im Gegenzug ist es dem Film wichtig die vorherigen Filme in allen Belangen zu übertrumpfen.

In stolzen 164 Minuten, die nicht immer so flüssig laufen, wie gewünscht, fackelt Nolan jedes Actionfeuerwerk ab, was das Drehbuch auch nur halbwegs anbietet. Schlichtweg alles vergrößert sich, vom Ensemble bis zu den Set-Pieces und es zeigt sich, was „Rises“ wirklich fehlt, ist ein Kern der Geschichte, etwas das alles miteinander verbindet. So bleibt Nolan nichts anderes übrig als seine zig Plots diffus und überdeutlich zu erzählen. Den zarten 9/11-Anspielungen eines „The Dark Knight“ weicht eine offenkundige Anklage an die Verursacher der Weltfinanzkrise, der dennoch nicht genügend Zeit bleibt um sich zu entfalten.

Niemand hat in diesem Film Zeit für irgendwas. Es ist ein einziges atemloses Hetzen und Kämpfen, was durch das schludrige Handwerk von Kamera und Schnitt noch verstärkt wird. Im Vergleich mit dem beinah makellosen „The Avengers“, fehlt es Nolans Film an vielen Dingen, aber während Joss Whedons Comic-Spektakel das leckere Sahnehäubchen auf einer groß kalkulierten Marketing-Torte ist, geben sich Nolans Batmanfilme immer als Wagnisse zu erkennen. Das gilt auch für den dritten Film, dem sein Übermaß an Inhalt und ungezügelter Form zu Gesicht stehen. Hier geht es gar nicht darum einen schlechten Film gut zu reden, aber selten sieht man eine solch wunderbar strikte Perversion abseits des „Production-Codes“ heutiger Hollywood-Mega-Eventfilme.

Erschienen bei CinemaForever

Wertung: 7/10

"The Dark Knight Rises"
USA 2012
Christopher Nolan
mit Christian Bale, Tom Hardy, Joseph-Gordon Levitt


Donnerstag, 12. Juli 2012

LAY THE FAVORITE



Kopf oder Zahl ist egal, ich kenne sie beide schon.

Rebecca Hall hat in den letzten Jahren eine beachtliche Karriere hingelegt. Seit ihrem Auftritt in Christopher Nolans „The Prestige“ spielte die britische Schauspielerin unter der Ägide anderer erfolgreicher Regisseure wie Woody Allen und Ron Howard. Nun spielt sie die Hauptrolle im neuen Film der britischen Regie-Legende Stephen Frears, wobei es gerade dieser Film sein könnte, der Halls Karriere einen Dämpfer verpassen könnte.

Beth (Rebecca Hall) ist eine junge Frau, die als erotische Tänzerin ihr Geld verdient. Als sie keine Lust mehr darauf hat, zieht sie nach Vegas und lernt dort den Glücksspieler Dick (Bruce Willis) kennen, der sie ins Wettgeschäft einweist. Beth kann überaus gut mit Zahlen hantieren und kann Dink einige Gewinne bescheren. Als er plötzlich Geld verliert, schmeißt er Beth raus, die nun ihr Glück allein versucht.

Das ist die Geschichte und wem das nicht reicht, kann sich auch den Trailer ansehen, der die gesamte Handlung in kleinen Häppchen präsentiert. Was hängen bleibt, ist die Frage ob der Topos „Las Vegas“ nicht bereits zu genüge im Kinosaal beleuchtet wurde. Es gab unzählige Filme, darunter Meisterwerke wie „Casino“ von Martin Scorsese, und TV-Serien, dennoch hängt die amerikanische Filmindustrie am Mythos „Vegas“ und seinen Projektionen vom großen Geld und bunten Lichtern, auch wenn diese Projektionen an Leuchtkraft eingebüßt haben. Selbst im amerikanisierten Europa stellt man sich Vegas wenig glamourös vor, eher als Inbegriff der Dekadenz, als einen Ort an dem man mehr verliert als gewinnt. Das haben uns ja auch die Filme gelehrt. Wen wundert es da schon, dass wir uns schulterzuckend abwenden?

Somit ist es schwer zu erklären, wozu es einen Film wie „Lady Vegas“ überhaupt braucht. Das wussten die Produzenten wohl ebenso wenig und suchten händeringend nach Gründen das Publikum ins Kino zu locken. Die Besetzung liest sich schon mal sehr gut und erinnert an das Format der beliebten „Ocean's“-Reihe. Wem Schauspieler nicht reichen, kann sich auch über den Credit des Regisseurs freuen. Zu guter Letzt holt Hollywood einen Doppeltrumpf aus der Tasche, der beim Publikum meistens sehr gut ankommt, die wahre Begebenheit und das Buch als Vorlage.

Rebecca Halls Figur Beth gab es wirklich und sie schrieb ein Buch über ihre Erlebnisse. Das klingt jetzt spannender als es in Wirklichkeit ist, denn eine ungewöhnliche Geschichte hat „Lady Vegas“ nicht zu erzählen und man kommt ins Grübeln, warum Beth Raymer überhaupt ein Buch darüber geschrieben hat, wenn es doch so wenig zu erzählen gibt, was man nicht sowieso schon kennt.

Umso eigenartiger ist der Ton des Films, der seinen Stoff trotzdem soweit fiktionalisiert, dass die reale Vorlage ganz schnell im Kinozauber verschwindet und man das Gefühl bekommt einen ganz normalen Vegas-Film zu sehen. Darüber hinaus wird kaum eine Figur in Frears Film lebendig, was auch daran liegt, dass man sie alle irgendwie schon mal in einem anderen Kontext gesehen hat. Sie bleiben Schablonen, kaum vorstellbar, dass es sie wirklich gibt. Besonders irritierend ist Rebecca Hall, die ihren Charakter überaus naiv und aufgesetzt spielt. Die Bewunderung der anderen Figuren Beth gegenüber ist kaum nachvollziehbar. Highlights wie John Carroll Lynch oder Vince Vaughn tauchen leider viel zu selten auf um das wieder wett zu machen. Zudem ist es schade, wie witzlos der Film ist, denn eigentlich müsste man „Lady Vegas“ an den Maßstäben einer Komödie messen und gerade die Dialoge von Autor DeVincentis wirken leider wie aus dem echten Leben. Sie sind banal und meistens nicht komisch. Das geht gar soweit, dass man das Husten im Kinosaal als Lachen missversteht.

Es fehlt der Verve und das Wagnis, eben auch mal der Blick in den Abgrund, den frühere Vegas-Filme hatten. „Lady Vegas“ ist zwar kein langweiliger Film, aber frei von jeglichen Höhepunkten oder Überraschungen. Die Besetzung ist gut drauf, aber gehörig unterfordert. Ja, Vegas City ist ein durchschaubarer Ort geworden, keine Schattenwelt wie früher, kein bunter Reigen menschlicher Gefühle mehr, sondern eine bloße Stadt mit Leuten, die Geld verdienen und es wieder verlieren, also so wie überall.

Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 3/10


"Lady Vegas"

USA 2012

Stephen Frears

mit Rebecca Hall, Bruce Willis, John Carroll Lynch

Mittwoch, 4. Juli 2012

MIENTRAS DUERMES



... von der Anstrengung böse zu sein.

Spanien macht in den letzten Jahren vor allem durch Genrefilme von sich reden. Sogar in den diesjährigen Berlinale-Wettbewerb schaffte es mit „Childish Games“ eine solche Produktion. Filme wie „Das Waisenhaus“ oder „[REC]“ zeigen deutlich wie sehr dieser Trend im Qualitätskino Fuß gefasst hat, besonders, wenn sogar der Großmeister des spanischen Kinos Pedro Almodóvar mit seinem letzten Film „Der Haut in der ich wohne“ einen waschechten Horrorthriller abgeliefert hat.

Jaume Balagueró ist nun auch kein unbeschriebenes Blatt. In Spanien ist er sogar ein bekannter Regisseur, der schon mit zahlreichen Filmen einen Ruf als Schreckensmann festigen konnte. Der Durchbruch kam dann endgültig mit dem, zusammen mit Paco Plaza inszenierten, Found-Footage-Horror „[REC]“, der sofort ein Hollywood-Remake und zwei Fortsetzungen nach sich zog. Mit einem solchen Erfolg im Rücken machte sich Balagueró auf sein Wunschprojekt „Sleep Tight“ zu realisieren.

Es geht um César (Luis Tosar), einem Concierge eines bürgerlichen Wohnhauses, dem es unmöglich ist glücklich zu sein. Er weiß nicht wofür es sich überhaupt lohnt morgens aufzustehen, doch es gibt Hoffnung. Die lebensfrohe Mieterin Clara (Marta Etura) ist ihm ein Dorn im Auge. Sie lächelt jeden Tag. César nimmt sich als Ziel das Lächeln aus ihrem Gesicht zu radieren.

Es gibt wahrscheinlich einfachere Rollen für einen Schauspieler. Luis Tosar gelingt es dennoch hervorragend das Wechselspiel von Sympathie und Abscheu zu spielen. Seine Figur ist ein böser Mensch, doch Tosar macht ihn menschlich, ja sogar sympathisch. Sobald er sein Ziel formuliert, nämlich die junge Frau unglücklich zu machen, wird es auch zum Ziel des Zuschauers, der ebenso wie César auf der Lauer liegt, ob Clara am nächsten Morgen immer noch lächeln wird oder nicht. Alberto Marinis Drehbuch ist so klug unseren „Helden“ nicht unverwundbar zu machen. Die meisten Antagonisten in Filmen strahlen bis kurz vor Schluss immer eine gewisse Überlegenheit aus, was es dem Publikum leichter macht ihn fallen sehen zu wollen. César ist dagegen schon ganz unten. Sein Chef schikaniert ihn, sein Beruf ist nicht geachtet und seine Mutter liegt im Krankenhaus. Zu einem gewissen Punkt könnte man sogar meinen er gebe das Unrecht, was die Welt auf ihn geladen hat, bloß weiter.

Höhepunkt dieser Identifikation mit César bildet eine lange Sequenz in der er versucht aus Claras Wohnung zu entkommen ohne von ihr und ihrem Freund gesehen zu werden. Eine bekannte Situation, die Balagueró dennoch zum möglichen Spannungshöhepunkt treibt, da er stets in Césars Perspektive bleibt und sich nicht ablenken lässt. Man drückt die Daumen und wünscht diesem „Helden“, dass er es schafft zu entkommen, ganz egal wie gemein er ist. „Sleep Tight“ beweist eindringlich, wie unwichtig dem Zuschauer Moral und Anstand sind. Jede Figur, egal wie schlecht sie ist, bleibt eine Projektion, die wir mit unseren eigenen Gefühlen aufladen. In Wirklichkeit sind wir es, die den Film durchleben, niemand sonst.

Das Drehbuch strukturiert seine Geschichte streng chronologisch. Wie in „Sieben“ bilden Wochentage den Rhythmus des Films, was Balagueró für einen gekonnten Schlussakkord verwendet, wobei man sagen muss, dass „Sleep Tight“ grundsätzlich keinen großen Schritt hinaus wagt. Die Identifikation mit César ist zwar sehr gut gelungen, aber ohnehin genreimmanent. Die Inszenierung bleibt reibungsarm. Besonders der seichte Soundtrack versucht zu kitten, was man gar nicht kitten bräuchte. So ein Film braucht Widerhaken, Momente in denen man hinaus geworfen wird, wo man eben nicht nur folgen kann. Doch darauf hat es der Regisseur abgesehen. Er hat sich ganz der Nachvollziehbarkeit verschrieben, weshalb er wahrscheinlich die dunkelsten Abgründe vermeidet. Betrachtet man Césars Versuche Clara das Leben schwer zu machen, so fällt auf, dass Balaguerós Inszenierung weitaus schärfer hätte sein können. Ein Schabenbefall in Claras Wohnung zum Beispiel wirkt hier eher komisch als beängstigend, was natürlich auch daran liegt, dass Clara auch vom Zuschauer nur als Versuchsobjekt betrachtet wird. Die emphatischen Genremomente vermisst man überwiegend.

Letztendlich bleibt „Sleep Tight“ nichts anderes übrig als seine größten Bomben am Ende zu zünden, die dafür umso mehr schmerzen. Dennoch ist Balagueró auch an diesem Zeitpunkt an Homogenität interessiert. Er will, dass der Zuschauer das Kino in der Gewissheit verlässt einen runden Film gesehen zu haben, dabei sind es doch die Ecken an denen man sich stoßen sollte.

Wertung: 6/10


"Sleep Tight"

ES 2011

Jaume Balagueró

mit Luis Tosar, Marta Etura, Alberto San Juan


Sonntag, 1. Juli 2012

GESEHEN IM JUNI 2012


To Rome with Love - 5,5/10
(IT/ES/US 2012, Woody Allen)

Roman Polanski: Wanted and Desired - 7,5/10
(GB/US 2008, Marina Zenovich)

The Band Wagon - 8,5/10
(US 1953, Vincente Minelli)

Plastic Planet - 6,5/10
(AT 2009, Werner Boote)

The Amazing Spider-Man - 6/10
(US 2012, Marc Webb)

Gentlemen's Agreement - 8/10
(US 1947, Elia Kazan)

Captain America - The First Avenger - 1/10
(US 2011, Joe Johnston)

The Pleasure Garden - 5/10
(DE/GB 1925, Alfred Hitchcock)

Blackmail - 7/10
(GB 1929, Alfred Hitchcock)

La Grande Illusion - 9/10
(FR 1937, Jean Renoir)

Komm, süßer Tod - 7/10
(AT 2000, Wolfgang Murnberger)

Lay The Favorite - 4/10
(US 2012, Stephen Frears)

Schwerkraft - 6/10
(DE 2009, Maximilian Erlenwein)

I Broke my Future - Paradies Europa - 6/10
(DE 2007, Carla Gunnesch)

Superman Returns - 6/10
(US 2006, Bryan Singer)

Bonnie and Clyde - 8,5/10
(US 1967, Arthur Penn)

Constantine - 4/10
(US 2005, Francis Lawrence)

Chéri - 6,5/10
(GB 2009, Stephen Frears)

Source Code - 6/10
(US/FR 2011, Duncan Jones)

Die 3groschenoper - 7,5/10
(DE/FR 1931, G.W. Pabst)

Dark Shadows - 7/10
(US 2012, Tim Burton)

Montag, 25. Juni 2012

THE AMAZING SPIDER-MAN

  
Die ewige Wiederkehr des Gleichen, möchte man denken, aber warum sollte das Gleiche nicht auch ein wenig Freude machen? 

Peter Parker (Andrew Garfield) ist überdurschnittlich intelligent und ist für seine Mitschüler dennoch meistens unsichtbar. Er lebt bei seinem Onkel und seiner Tante schon seit er ein kleines Kind ist. Seine Eltern haben ihn unter mysteriösen Gründen damals da gelassen. Als er im Keller eine alte Tasche findet, kommt er den Forschungen seines Vaters auf die Spur und sucht dessen alten Partner Dr. Connors (Rhys Ifans) auf. In seinen Laboren wird Peter von einer Spinne gebissen und entwickelt übermenschliche Fähigkeiten.

Eigentlich möchte man diesen "Spider-Man"-Film nicht mögen. Seit Ankündigung des Neustarts bzw. der Weiterführung des Franchises herrscht ein gewisser Unmut. Der Rebootism in Hollywood ließ sich auch nicht durch originelle Produktionen wie "Inception" drosseln. Viel eher hat man das Gefühl, es ist alles noch viel schlimmer geworden. In den letzten Jahren hat eine Vielzahl an Remakes die Gemüter des Publikums irritiert. Zuletzt war es wohl David Finchers "Verblendung". Wozu das ganze? Das fragt man sich leicht und die Antwort ist leider genauso naheliegend wie banal. Es geht um Geld. Dass hinter einem solchen Projekt immer noch Filmemacher stehen, bestenfalls Filmemacher, die einen gewissen künstlerischen Anspruch verfolgen, darf man dabei natürlich auch nicht vergessen. Letztendlich lautet wahrscheinlich eine Erkenntnis im Bezug auf solche "verfrühten" Neuverfilmungen, dass der Film gefallen könnte, nicht nur wenn er gut ist, sondern wenn man die zugrundeliegenden Filme nicht gesehen hat.

Ich persönlich habe nichts gegen Remakes, grundsätzlich, aber ich kann die Kritik verstehen. Bestenfalls sind diese Filme wirkliche Neuinterpretationen, Filme, die eine andere Sicht wählen, abseits der wünschenswerten Motivation das vorhandene wenigstens zu übertreffen. Ein beliebtes Beispiel dafür bleibt natürlich David Cronenbergs "Die Fliege", die nur noch schemenhaft dem Original ähnelte. Wahrscheinlich liegt die einzige Möglichkeit eines guten Remakes darin, möglichst vom Vorgänger Abstand zu nehmen, auch wenn das ein Dogma ist, aber nur solche Ansätze zeigen Erfolg.

Marc Webb bekam nach seinem Indy-Hit "(500) Days of Summer" die schwere Aufgabe eben dies zu leisten, dabei würde man nie auf die Idee kommen, dass sich Webb mit seinem Debüt für eine Produktion dieser Größe empfohlen hätte. Seine RomCom mit Joseph-Gordon Levitt und Zooey Deschanel in den Hauptrollen war aber so erfolgreich, dass sie Webb einige Anhänger bescherte und wahrscheinlich zielte Sony gerade darauf ab. Webb ist eben nicht Raimi und schon gar nicht Singer oder wie irgendein anderes beschriebenes Blatt unter den Blockbuster-Regisseuren. Die Produzenten gingen ein Wagnis ein und wurde auch belohnt. "The Amazing Spider-Man" ist ein guter Film geworden, obwohl die erwarteten Änderungen nicht so gravierend ausfallen. Sam, Raimis Trilogie fühlte sich zwar visuell der Vorlage verpflichtet, erzählte seine Geschichte aber anders als im Comic. Die neue Sicht, die ich ansprach und die jedes Remake nötig hat, ist hier eine alte, denn im neuen Film wird sich sehr viel stärker an das Comic gehalten, was zwar die Nerds befriedigen, dem gewöhnlichen Zuschauer aber nur ein Schulterzucken abringen wird.

Ok, Spiderman produziert die Spinnenfäden nun nicht mehr in seinem Körper selbst, sondern er nutzt dafür Apparaturen an seinen Handgelenken. Wenn der Film dieses neue Element wenigstens dazu nutzen würde um Spannung zu erzeugen, z.B. wenn ihm die Munition ausgeht, aber das geschieht nicht. Es bleibt ein Nerd-Pleaser. Dafür gibt es andere Änderungen, die dem Film gut tun. Mary Jane gibt es hier noch nicht. Peter Parkers erste Liebe heißt hier Gwen Stacey, was zu einigen Veränderungen zwischen den Figuren führt, was die Handlung zum Glück nicht so vorhersehbar werden lässt. Der Film gibt sich zwar Mühe mit Peters Vergangeheit und dem Schicksal seiner Eltern einen neuen Aspekt in die Reihe einzubringen, nutzt das Potenzial aber wenig und verweist müde auf den nächsten Teil.

Nun gut, es gibt sie schon, die kleinen und großen Unterschiede, aber besonders anders fühlt sich dieser "Spider-Man" nicht an. Die Moral aller Filme - große Macht birgt große Verantwortung - ist auch hier vorhanden. Davon konnte sich das Reboot nicht lösen, was sowieso schwer möglich ist, aber die Eigenständigkeit wird dennoch dadurch beeinträchtigt. Man merkt trotzdem den Willen aller Beteiligten den Film besser als seine Vorgänger zu machen und wie vorhin schon bemerkt "The Amazing Spider-Man" ist kein schlechter Film. Die Schauspieler sind sehr gut. Marc Webbs RomCom-Hintergrund macht sich hier bemerkbar. Andrew Garfield und Emma Stone spielen ein sympathisches junges Paar. Ohnehin sind die beiden eine bessere Wahl als damals Kirsten Dunst und Tobey Maguire. Das Drehbuch gibt den Beziehungen zwischen den Figuren viel Raum und spart sich seine Actionszenen für das große Finale auf. Auch die Entwicklung von Spider-Mans Gegner Lizard-Man ist gut erzählt, obwohl sie sehr stark an Willem Dafoes Rolle im ersten Film erinnert, Rhy Ifans ist aber ebenbürtig.

Wie ich zu Beginn schrieb, man will diesen Film am liebsten nicht mögen, aber Marc Webb macht es uns ziemlich schwer. Er kann mit Raimis visuellem Einfallsreichtum mithalten und hat ein hervorragendes Timing. Besonders schön, dass dieser Filmemacher noch etwas unter dem Wort Suspense versteht, was manchmal besser ist als eine bloße Explosion. "The Amazing Spider-Man" ist also ein typischer Sommerblockbuster mit viel Humor und der allerneuesten Technik. Erzählt wird dagegen nicht viel neues und der Film wird eher denen gefallen, die den Vorgänger nicht kennen. Es bleibt also alles beim alten in Remakehausen. Webbs Film ist kein "Spider-Man 2" und schon gar kein "The Avengers", es ist schlicht ein guter Film.

Wertung: 6/10

"The Amazing Spider-Man"
US 2012
Marc Webb
mit Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans