Sonntag, 29. Januar 2012

FAUST


Angesicht seines Prestige ist es doch ziemlich eigenartig warum Goethes "Faust" so selten verfilmt wurde. Alexander Sokurov hat die Ehrfurcht erfolgreich besiegt und ein Meisterwerk hinterlassen.

Professor Faust hat jeden Lebenswillen verloren. Er glaubt nicht an eine menschliche Seele, da er sie bei seinen anatomischen Untersuchungen nicht finden konnte. Aufgrund von Geldmangel sucht Faust einen Pfandleiher auf, der sich als Mephistopheles persönlich entpuppt und ihm neue Perspektiven unterbreitet.

Ehrlich gesagt fallen mir nur zwei bekannte "Faust"-Verfilmungen ein. Da gibt es einmal den Film-Theater-Hybriden mit Gustaf Gründgens von 1960 und F.W. Murnaus Stummfilm von 1926. Beide Filme könnten nicht unterschiedlicher sein. Wo Gorskis "Faust" die direkte Adaption von Goethes Vorlage sucht und den Ursprung als Theaterstück in den Mittelpunkt rückt, da ging Murnau weitaus freier mit der Vorlage um und nutzte damals alle erkenntlichen filmischen Mittel um die Vorlage von allem theatralischen zu befreien, zumal die Handlung nicht nur auf Goethes Stück fußte, sondern auch Motive aus Christiopher Marlowes "Doctor Faustus" verwendete.

Müsste man entscheiden welcher Verfilmung Alexander Sokurovs aktuelle Interpretation am nächsten komme, so käme unbeirrbar Murnaus Film heraus. Beide sind im Kino zu Hause, allerdings mit einem markanten Unterschied. Murnau kam nie in die Verlegenheit einen Tonfilm drehen zu müssen. Sein revolutionäres Kino speiste sich nur aus Bildern und nahm auf Sprache wenig Rücksicht, weshalb Goethes Poesie im Stummfilm völlig auf der Strecke blieb.

Sokurov ist dazu gezwungen den Film als audiovisuelle Kunstform anzuerkennen, es fällt ihm aber nicht schwer. Sieht man seinen "Faust", so sticht einem förmlich die Liebe zur Sprache ins Ohr. Nicht umsonst lautet der Untertitel "frei nach Johann Wolfgang von Goethe". Zwar bedient sich Sokurov auch reichlich bei Thomas Manns "Doktor Faustus", dennoch das direkte Zitat sucht er nur bei Goethe.

Die Drehbuch-Autoren und Übersetzer haben einen faszinierenden Sprachbastard erschaffen. Sokurov verlegt die Faust-Sage in die Zeit des Biedermeier und lässt seine Figuren mal zeitgenössisch, mal modern sprechen, nur ab und zu, in der sonst komplett reimfreien Sprache, tauchen Verse aus Goethes Tragödie auf, wobei Sokurov keine Furcht davor hatte, sie für sich zu vereinnahmen, sodass es auch mal Mephistopheles, hier Wucherer, sein darf, der nicht Margarete, sondern ihrem Hausmädchen "Arm und Geleit" anbietet. Ungewöhnlich ist auch der Charakter des Gesprochenen. Sokurov drehte den Film mit russischen und deutschen Schauspielern, entschied sich dann aber dafür den Film komplett neu auf deutsch zu synchronisieren, wodurch jeder Satz leicht abgehoben wirkt und mit Absicht so klingt als wäre es kein O-Ton, als würden Gretchen und Faust beinahe telepathisch kommunizieren. Man sieht die Liebe zur Sprache ist unverkennbar, aber niemals wird ihr so viel Raum gegeben, dass man denken könnte "Faust" würde auch als Hörspiel funktionieren. Denn da sind sich Sokurov und Murnau sehr ähnlich. Sie lieben das Kino noch mehr und beide Filme, so abgenutzt es klingt, kann man als reinstes Kino bezeichnen.

Großen Anteil an der bildlichen Magie dieses Films hat der französische Kameramann Bruno Delbonnel, bekannt durch seine Arbeit an "Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain", der "Faust" im veralterten Academy-Format drehte, was dem bekannten Seitenverhältnis 4:3 entspricht. Ob sich darin eine visuelle Nähe zu Murnaus Film zeigt, ist unklar. Die engen Bilder wiederum passen perfekt zu den kleinformatigen Kulissen, den engen Gassen und Fluren. Im Gegensatz zu Delbonnels bekannter Vorliebe für kräftige Farbpaletten, gibt sich "Faust" mit sanften Pastelltönen zufrieden, die durch das weiche Licht einem nebulösen Traum ähneln.

Vieles in Sokurovs Film erinnert an einen Traum, sei es das sprunghafte Erzählen oder die nie zur Ruhe kommende Kamera, die den Schauspielern teilweise so eng auf die Pelle rückt, dass der Zuschauer das Gefühl hat eben "Teil dieser Kraft" zu werden. Die Faust-Legende als Traum aus der Vergangenheit? Sokurovs Modernisierungen degradieren den Doktor zum Schlächter, der gleich zu Beginn grob eine Leiche zerlegt und Wissenschaft nur als Zeitvertreib bezeichnet. Viel wichtiger ist das Geld, denn auf das kann selbst ein angesehener Professor nicht verzichten. Der Teufel verwaltet natürlich die Finanzen und alle Stadtbewohner stehen bereits in seiner Schuld.

Sokurov raubt der Vorlage ihren Romantizismus. Der Pakt mit dem Teufel ist nichts einzigartiges. Mephisto kommt auch nicht zu Faust, sondern umgekehrt. Es gibt keine Hexenküche, keine Verjüngung. Sokurov profaniert den Stoff, macht ihn weltlich und stellt Fausts sexuelles Verlangen nach Margarete noch stärker als Goethe in den Mittelpunkt. Selbst die Seele hat hier keinen Raum mehr. In diesem Film gibt es sie nicht, wodurch letztendlich Mephisto als Verlierer da steht. Faust weiß, dass die Seele nicht existiert, aber er erkennt, dass sein Wissen ihm Macht verleiht. Am Ende siegt die Informations- über die Finanzgesellschaft und Faust reiht sich ein das Viereck mächtiger Männer, die Sokurov in seiner Tetralogie behandelte.

"Frei nach Johann Wolfgang von Goethe" trifft es wohl sehr gut. Es ist mehr ein Sokurov-Faust geworden, ein Faust der Finanzkrise und Weltuntergangsstimmung. Der Zynismus wird wohl nicht jedem gefallen, die langsame Erzählweise ebenso. Trotzdem kann man den Film als turning point bezeichnen, als die wahrscheinlich wichtigste Literaturverfilmung der letzten Jahre, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet, Politik und Kunst verführt, Traum und Wirklichkeit verschmilzt, sowie Philosophie und Wissenschaft verheiratet. Alexander Sokurovs "Faust" ist nichts anderes als die verfilmte String-Theorie unserer Tage.

Wertung: 9/10


"Faust"
RU 2011
Alexander Sokurov
mit Johannes Zeiler, Anton Adasinsky, Isolda Dychauk

Samstag, 28. Januar 2012

DRIVE


Nicolas Winding Refn will den Film noir zurück. Das schreit uns "Drive" jedenfalls jede Sekunde ins Gesicht.

Der Driver führt ein gespaltenes Leben. Tagsüber arbeitet er als Stuntman und Automechaniker, nachts verdingt er sich als Fluchtwagenfahrer für Verbrecher. Dann tritt die junge Irene mit ihrem Sohn Benicio in sein Leben und für den Driver beginnt eine wundervolle Zeit, doch Irenes Mann Standard kehrt aus dem Knast zurück und mit ihm die Probleme. Er schuldet der Mafia Geld. Um Irene und Benicio zu schützen, hilft der Driver Standard bei einem Raubüberfall, der allerdings alles andere als geplant verläuft.

Die alte Frage: Was ist der Film noir? Ein Genre? Eine Serie? Eine Stilrichtung? Definitiv wird man das nie beantworten können, als was man diese ominöse Ansammlung herausragender Filme, die in Hollywood in den 40er und 50er Jahren entstanden sind, bezeichnen soll. Der klassische Film noir ist dennoch tot; nun lebe der Neo-Noir, ein klares Genre, aber extrem weitläufig. Abgesehen von solchen offensichtlichen Neo-Noirs wie "L.A. Confidential" oder "The Black Dahlia", lassen sich viele Thriller mit einbeziehen, da sie mindestens Bezüge zum klassischen Film noir enthalten. Allein David Finchers "Se7en" ist getränkt in Noirismen, von der pessimistischen Weltsicht bis zur fatalistischen Handlung, doch als Neo-Noir würde man den Film trotzdem nicht bezeichnen.

Was ist also der Neo-Noir? Die Handlung sollte einem klassischen Noir entsprungen sein. Es reichen nicht nur einfache Bezüge. Das betrifft auch die Figuren, die Ebenbilder der damaligen Charaktere sein müssen; und schlussendlich ist da der Film an sich, der genauso wissen muss, wie sich seine Vorbilder anfühlten, wie sie auschauten, was sie bewegte. In schwarz-weiß muss er allerdings nicht gedreht werden.

Bei diesem doch arg engstirnigen Regelwerk, fragt man sich doch, ob der Neo-Noir nur die bloße zeitgenössische Mimikry ausgestorbener Filme ist und somit nichts eigenes zu erzählen hat. Das ist Quatsch. Man muss den Neo-Noir als reines Filmbuff-Genre begreifen. Das große Publikum wird einen Film wie "Drive" eher als Action-Drama bezeichnen, nicht als Noir. Nur wer den klassischen Film noir kennt, der sieht ihn auch in "Drive", aber wozu dann das ganze? Eigentlich ist dies nur filmhistorisch wichtig, denn dass der "film noir" entstand, lag in erster Linie am zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit. Am Ende bleibt die Frage, was heutige Filme dazu bewegt sich das Noir-Korsett überzuziehen. Ist es die reine Pose, also der Spaß am Zitat oder sagt es uns etwas über unsere Zeit, die immer noch in der Lage ist, solche "Monster" zu gebähren.

Nun wagt sich der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn an einen Neo-Noir und zeigt bereits in den ersten 5 Minuten, dass er keine Lust darauf hat, einzig und allein Vorbilder nachzuahmen, schon gar nicht sie bloß zu zitieren. Seine Filmgeschichte ist weiter gegangen, bis in die Achtziger, einem filmhistorisch stark unterschätztem Jahrzehnt, dem sich "Drive" verpflichtet fühlt. Refns größtes Vorbild war wohl William Friedkins Meisterwerk "To Live and Die in L.A.", welches nicht nur den Film noir atmet, sondern auch mit grandiosen Verfolgungsjagden glänzt, wobei Robby Müllers fluorizierende Bilder auch den Look von "Drive" stark beeinflusst haben. Dennoch reicht die Palette der Referenzen noch viel weiter, von "Vanishing Point" bis "Driver" von Walter Hill.

Refns größter Verdienst ist wohl die Figur des Drivers, ein Charakter dem man im heutigen Kino selten begegnet, wobei Ryan Gosling den Driver fast theatralisch stilisiert. Er glänzt nicht durch Overacting, sondern markantem Underacting. Überwiegend hat er nämlich den gleichen Gesichtsausdruck, wie versteinert, jede einzelne Regung wird dadurch umso stärker wahrgenommen. Die klassische Noir-Figur des insichgekehrten Helden mit nebulöser Vergangenheit überformt Refn hier zum Ideal. Goslings Figur bleibt bis zum Schluss ohne Namen und ohne Vergangenheit, reinstes Kino also. Sogar als er in der zweiten Hälfte des Films ein Blutbad nach dem anderen anrichtet, folgen wir ihm, da Hossein Aminis geschicktes Drehbuch die erste Hälfte dafür nutzt, uns mit dem schweigsamen Helden anzufreunden. Als der Film dann eine andere Ebene betritt, sind wir bereits so mit dem Driver perdu, dass wir uns nicht abwenden können, wenn er zuschlägt.

Gewalt spielt, wie in allen Refn-Filmen, auch in "Drive" eine große Rolle. Der dänische Regisseur war nie jemand der sich davor scheute Gewalt auch als etwas schönes zu betrachten. "Bronson" und speziell "Valhalla Rising" waren teilweise schon nah an der Gewaltverherrlichung. "Drive" dagegen nutzt die Gewalt symbolisch. Figuren, denen wir erst friedlich begegnet sind, überraschen uns auf einmal mit ihrer bestialischen Brutalität. Selten fällt ein Schuss in "Drive", die meisten Morde geschehen hier durch reine Manneskraft, Erstechen, Ausweiden, Zertreten, Ertränken. Auf einmal befinden wir uns in einer grausameren Welt. Unsere Freunde werden zu unseren Feinden. Die Gewalt in "Drive" zeigt uns, dass wir die dunkele Seite der Medaille erreicht haben und wir sie nicht mehr verlassen können.

Refns Faszination für Grausamkeit ist aber auch ein zweischneidiges Schwert. Nie weiß man genau ab wann sich die Kamera ins Blut verliebt. Die überinszenierten Tötungsszenen bringen den Film aus dem Gleichgewicht und lenken schnell von seinen wahren Stärken ab, die sich überwiegend in der ersten Hälfte zeigen, wo sich der Film Zeit nimmt das Umfeld des Drivers und seine Beziehung zu Irene zu skizzieren. Gerade in diesen Szenen wird deutlich, warum Refn den Regie-Preis in Cannes gewann, seine Schauspielführung ist einfach grandios. Selten hat man im Kino einen so klugen Umgang mit Pausen erlebt.

Der Neo-Noir hat mit "Drive" eine höhere Ebene erreicht. Refn erzählt eine düstere Geschichte aus der Zwischenwelt der Gesellschaft in eleganten Bildern aus Licht und Schatten. Die klassischen Noir-Helden sind zwar nie durch so viele Liter Blut gezogen worden, doch schien ihre Welt auch weniger grausam. Während auf den Schlachtfeldern Soldaten geschnetzelt wurden, streute Hollywood nur eine andere Saat der Gewalt. Die großen Noir-Filme erzählten pessimistische Geschichten, weil die Welt in Zerstörung zu versinken drohte. Heute ist Krieg normal und langweilig geworden. Kriegsbilder gehören zum Alltag wie Mickey Maus und VW Golf. Dennoch erzählt auch "Drive" von Untergang, von Verfolgung. Am Ende müssen wir alle bezahlen und auch wenn sich der Film einen Schimmer der Hoffnung leistet, so glaubt die restliche Welt doch längst, dass ihre letzten Tage gezählt sind, wie die des Drivers.

Wertung: 7/10


"Drive"
US 2011
Nicolas Winding Refn
mit Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston

Samstag, 21. Januar 2012

8 MILE


Ohne viel Kitsch entführt uns Curtis Hanson in die Welt des Hip-Hops und ist dabei sehr nah dran am Leben, wenn das Drehbuch nichts dagegen hat.

Detroit 1995: In den ärmeren Vierteln ist der HipHop für viele zum einzigen Lebensinhalt geworden. Auch für den jungen Rabbit ist die Kunstform des Rap das Wichtigste überhaupt. Jimmy steht tagsüber an der Stanzmaschine in einer Automobilfabrik. Hier lernt er auch die hübsche Alex kennen, mit der er ein Verhältnis beginnt. Natürlich verschweigt er ihr, dass er zusammen mit seiner alkoholkranken Mutter und seiner kleinen Schwester in einem Trailer-Park lebt.

Dass "8 Mile" damals ein so großer Erfolg wurde, war wohl keine wirkliche Überraschung. Schließlich übernahm einer der bekanntesten Rapper der westlichen Welt die Hauptrolle. Eminem, der damals auf dem Zenit seines Schaffens war, spielt Rabbit als zutieft introvertierten und zukunftsfürchtenden Jugendlichen, der nur beim Battle eine Form findet sich auszudrücken.

Curtis Hanson, dessen Karriere nach "L.A. Confidential" eigentlich nur nach unten gehen konnte, gelang mit "8 Mile" wenigstens ein Aufmerksamkeitssieg. Es ist wohl vorallem seiner Führung zu verdanken, dass der Film nicht zur bloßen Ego-Show eines erfolgsverwöhnten Platten-Stars wurde. Er lässt Eminem überwiegend schweigen, seine Aura ist ausreichend. Erst die restlichen Figuren machen den Film, von Kim Basinger bis Michael Shannon.

Das grobschlächtige Drehbuch bietet zwar authentische Dialoge, begnügt sich aber mit einer mehr als ausgetretenen Dramaturgie und vorhersehbaren Konflikten. Am deutlichsten wird das bei der Rolle Brittany Murphys. Die leider schon verstorbene Schauspielerin passt sich zwar hervorragend in den Film ein -sie wirkt wirklich, wie von der Straße-, als scheinbar obligatorischer "Love Interest" ist sie aber unnötig, da das Drehbuch nichts mit ihr anzufangen weiß. Sie taucht unvermittelt auf und wenn sie weg ist, kümmert das auch niemanden. Der eigentlichen Coming-of-Age-Geschichte vermag ihre Rolle nichts hinzuzufügen und ihre einzige Existenzberechtigung scheint wohl die Sex-Szene im Automobilwerk zu sein.

Viel deutlicher werden da "8 Mile"s Stärken in der Mutter-Sohn-Beziehung. Basinger, die dank Hanson, wieder mal großes spielen darf, überzeugt als liebessüchtige Mutter. Ebenso beeindruckend ist der, damals noch unbekannte, Michael Shannon als ihr Freund, der es versteht als Verlierer trotzdem wie ein Sieger dazustehen. Auch im Bezug auf die Star-Persona Eminems nimmt der Film sich absichtlich viel Zeit für die Mutter-Sohn-Geschichte. Eminems eigene familäre Probleme sind schließlich weltbekannt.

Hansons größter Verdienst ist allerdings seine Fähigkeit Milieus zu zeichnen. "8 Mile", ob nun Star-Film, Hip-Hop-Drama oder Fan-Vehikel, ist in erster Linie eine fantastische Hommage an die wohl hässlichste Stadt Amerikas, "Detroit". Hanson zeigt uns die versteckten Winkel. Seine flexible Handkamera schlüpft durch die Original-Schauplätze und zeichnet ein lebendiges Bild dieser kantigen Stadt, von der abgerockten Club-Toilette bis hin zur Megalomanie der Industrieviertel.

Die alte Frage, die sich "8 Mile" stellt, ist die Suche nach dem "American Dream", einem Traum, der so irreal wie ein Märchen ist und uns nur von der Tatsache ablenkt, dass Fleiß und Erfolg in keinem definitiven Kausalverhältnis stehen. Jeder kann fleißig sein, aber nicht jeder erfolgreich. Die nötige (und große) Portion Glück, die es braucht um Millionär zu werden, wird dabei oft unterschlagen. Hansons Film macht das zum Glück nicht. Er verkitscht den "American Dream" nicht. Rabbit sucht nicht nach Erfolg, er sucht nach sich selbst. Das Drehbuch vermeidet Eminems großen Aufstieg. Sobald Rabbit sein Selbstvertrauen gefunden hat, endet der Film mit einer angenehmen Offenheit.

Auch wenn die Fülle an Figuren nicht den Mangel an größerer Tiefe und das eine oder andere Klischee verhindern konnte, so ist Curtis Hanson dennoch ein authentisches Musik-Drama gelungen, dass besonders durch seine Milieuzeichnung fesselt. Das flache Drehbuch bleibt trotzdem auffällig. Hip-Hop-Fans werden schon alleine Spaß daran haben die Cameos zahlreicher Szene-Größen ausfindig zu machen. Bei Hip-Hop-scheuen Menschen wird der Film eher Augenrollen hervorrufen und als Filmfan steht man mal wieder zwischen den Stühlen.

Wertung: 5,5/10


"8 Mile"
US 2002
Curtis Hanson
mit Eminem, Kim Basinger, Brittany Murphy

Samstag, 14. Januar 2012

THE GIRL WITH THE DRAGON TATTOO


Das Thema lässt ihn nicht los. Nach seinem Generationenfilm „The Social Network“, interessiert sich David Fincher mal wieder für einen Serienkiller.


Harriet Vanger verschwindet spurlos während eines Familientreffens. Jahrzehnte bleibt ihr Schicksal ungeklärt. Jahrzehnte, in denen Henrik Vanger zum Geburtstag stets das gleiche Geschenk erhält: eine gepresste Blüte hinter Glas. Was nur ist damals mit Harriet geschehen? Mittlerweile 82 Jahre alt, lässt Henrik Vanger diese Frage keine Ruhe. Ein letztes Mal versucht er, doch noch eine Antwort zu finden, und kontaktiert den Journalisten Mikael Blomkvist. Gemeinsam mit der Hackerin Lisbeth Salander, von der er unerwartet Unterstützung erhält, stößt Blomkvist schnell auf erste Spuren.

Man kann schon fast dankbar dafür sein, dass Hollywood so schnell nach der schwedischen Verfilmung von Stieg Larssons Millenium-Trilogie, eine eigene Adaption auf den Markt schmeißt, denn das sichtlich kapitalistische Interesse, dass Hollywood dabei hegt, sorgte bereits im Vorfeld der Produktion für reichlich Zündstoff in diversen Foren. Wozu braucht man zwei Jahre nach der ersten Verfilmung eine zweite? Nun ja, wir brauchen sie wahrscheinlich nicht. Bei uns hatte die Trilogie großen Erfolg, in ganz Europa, und selbst in Amerika lief „The Girl With The Dragon Tattoo“, zwar mit Untertiteln, aber er lief, nur nicht sehr erfolgreich. Das gemeine amerikanische Publikum hat wahrscheinlich nicht das größte Interesse daran sich einen Film mit Untertiteln anzusehen, also so wie bei uns. Nur, wir haben eine überaus professionelle Synchronisationsbranche und was der gemeine Amerikaner wahrscheinlich noch mehr hasst als Untertitel sind Synchronisationen, verständlich. Da dem gemeinen Deutschen das ja egal ist, konnte er sich ganz nach Belieben die schwedischen Millenium-Filme ansehen.

Damit sich auch das amerikanische Publikum ungezwungen in die Welt Stieg Laarsons stürzen konnte, drehte MGM eine eigene englische Version. Es roch nach Geld. Spätestens da, stank es aber schon für viele Fans der ersten Verfilmungen. Sollen die Amerikaner doch ihren Film haben, wir brauchen ihn nicht. Falsch gedacht, denn wenn es eine Nation auf der Welt gibt von dem unser Kinokulturapparat abhängig ist, dann ist es Amerika. Mit strahlenden Augen starren wir über den großen Teich und sind unfähig mal nicht auf die neue Komödie mit Adam Sandler oder den neuen „Transformers“ von Michael Bay zu verzichten; und auch wenn die amerikanische Verfilmung viel Missgunst provoziert, so wird bereits der Großteil ins Kino gehen, weil er die beiden Verfilmungen vergleichen will, weil er noch nicht die schwedischen Filme kennt, weil er auf Daniel Craig steht, weil er gerade das Buch geschafft hat durchzulesen oder weil er sich einfach den neuen David-Fincher-Film ansehen will, so wie in meinem Fall. Denn spätestens seitdem bekannt wurde, dass der Kultregisseur, und einzige ernstzunehmende auteur Hollywoods, die Regie übernimmt, vollzog sich bei vielen Skeptikern ein Paradigmenwechsel.

Fincher ist der perfekte Mann für diesen Film. Er kennt das Genre in und auswendig und mit zwei Filmen wie „Se7en“ und „Zodiac“ auf dem Konto ist auch klar warum. „Se7en“ war die kunstvolle Konstruktion einer Mordserie, die erst durch ihre Vollendung die Form des bloßen Verbrechens transzendiert. Der Serienkiller ist hier Prophet, Künstler und Drehbuchautor, alles auf einmal. In „Zodiac“ bleibt der Killer im Dunkeln. Hier ging es Fincher mehr um die gesellschaftlichen Reaktionen. Der Täter ist hier eine Projektion seiner Verfolger, der sich in allem und jedem versteckt. Spätestens mit „Zodiac“ schien Fincher alles erzählt zu haben, umso verwunderlicher, warum er sich nun eines klassischen Whodunits annahm, denn was unterscheidet „The Girl With The Dragon Tattoo“ von einem aufgeblähten „Tatort“?

Nach einer kurzen Szene, in der Henrik Vanger wieder eine Blume zum Geburtstag bekommt, wird der Film mit der von Onur Senturk gestalteten Vorspannsequenz eröffnet. Viele Jahre ist es her, dass ein Fincher-Film mit ausgefeilten Opening Titles geschmückt wurde, um genau zu sein, 10 Jahre. In der Zwischenzeit wurden die Titel, wie auch die Filme, nüchterner und klarer. Der mit Zeichen durchtränkte Vorspann von „The Girl With The Dragon Tattoo“ wirkt wie ein Alptraum aus purem Schwarz. Texturen aus Plastik, Öl und Fleisch verbinden sich miteinander und formen neue Figuren. Ein Gesicht wird in Stücke geschlagen und ein Insekt schlüpft heraus. Computerkabel, wie Schlangen wickeln sich um den Körper und dringen in die Haut ein.

Obwohl der Vorspann Finchers frühen, exzentrischen Arbeiten entsprungen zu sein scheint, setzt er seine Form des fast analytischen Erzählens weiter fort. Wieder einmal zeichnet sich Jeff Cronenweth für die Kameraarbeit verantwortlich. Die kühlen und kristallklaren Bilder der digitalen Kinokamera unterlaufen die Handlung, die sich aus Geheimnissen, Perversion und geballten Gefühlen speist, jedenfalls auf dem Blatt Papier. Fincher zeigt in den 168 Minuten nicht ein einziges Mal Interesse an den sentimentalen Möglichkeiten des Stoffes. Selbst Lisbeth Salanders Passionsgeschichte zu Beginn beobachtet die Kamera mit einer distanzierenden Zurückhaltung, umso unsichtbarer ist der Schnitt. Dafür inszeniert Fincher mit feiner Naht, wenn er z.B. Lisbeths Nahaufnahmen überwiegend auf Augenhöhe filmt und ihrem Peiniger nur aus der Frosch- und Vogelperspektive begegnet. Cronenweths Bilder konzentrieren den Blick auf die Figuren ohne manipulativ zu sein. Seine Kamera ist zurückhaltend, aber nicht unsichtbar, was man besonders in den vielen Recherchesequenzen bemerkt, in denen die Linse beinah einen Fetisch für Akten, Mikrofilme und Computerbildschirme entwickelt und diese aus unzähligen Perspektiven abfilmt.

Es geht um Spuren der Schuld, eingeschrieben im transparenten Raum des Internets, versteckt in Details von Fotografien oder eingraviert auf dem Bauch eines Vergewaltigers. Zaillians Skript folgt diesen Spuren auf vielfältige Art. Am Ende sind wir alle nur Überbleibsel unserer eigenen Biografien und auch unsere Kinder bleiben nicht verschont. Schuld ist erblich, besonders in so einer Familie wie den Vangers.

Ich kenne die Vorlage nicht, aber gerade in der Erzählung leistet sich der Film einige Schwächen. Der erkennbaren Komplexität des Stoffes begegnet Zaillan mit Auslassungen, manchmal an der falschen und manchmal an der richtigen Stelle. Am stärksten hat darunter Mikael Blomkvist gelitten, dessen Gerichtsurteil zu Beginn kaum beleuchtet und auf rein dramaturgische Gründe reduziert wird, wobei die existenzielle Enge in die Blomkvist geraten sein soll, nie spürbar wird. Umso unverständlicher ist es, dass dieser Plot zum Ende hin nochmal aufgegriffen wird.

Leider vermag es auch nicht Daniel Craig seine Rolle schwerer zu machen. Für einen gescheiterten Journalisten bleibt Craig zu souverän und das in jeder Situation. Selbst als Gefangener wirkt Blomkvist wie ein Gewinner mit athletischem Körperbau. Diametral dazu steht Rooney Mara, die sich erfolgreich in Lisbeth Salander verwandelt hat. Ihre Figur scheint zerbrechlich, was sie in den Momenten der Wut umso glaubwürdiger macht, wobei Finchers distanzierende Regie ihrem Schicksal nie die Menschlichkeit raubt. Seine Kamera schenkt ihr die größte Aufmerksamkeit. Sie ist die Heldin des Films.

Trotz der Voraussicht auf einen zweiten und dritten Teil, bleibt „The Girl With The Dragon Tattoo“ ein überraschend geschlossener Film, der wirklich alle seine Geschichten konsequent zu Ende erzählt, wobei man sich ernsthaft darüber ärgern darf, dass die Beziehung zwischen Blomkvist und Salander so einen billigen Schluss spendiert bekam. Inwieweit das die nächsten Teile revidieren können, wird sich zeigen. Genauso fragwürdig ist auch Finchers Rolle dabei, der wahrscheinlich wenig Interesse daran hat sich für eine Reihe verwursten zu lassen. Wirkliche Gegenargumente fallen mir nicht ein. Obwohl der erste amerikanische Larsson-Film ein wunderbar eleganter Kriminalthriller geworden ist, fügt er Finchers Werk und dem Genre sowieso eher wenig dazu.

Wertung: 6/10



"Verblendung"
US 2011
David Fincher
mit Rooney Mara, Daniel Craig, Joely Richardson

Donnerstag, 5. Januar 2012

BATMAN RETURNS


„Du bist nur neidisch, weil ich ein echtes Monster bin.“, keift der Pinguin in Batmans Gesicht. Auch zwanzig Jahre nach Kinostart und vier weiteren Fledermausfilmen dazwischen, steht Burtons Interpretation immer noch alleine da, als Meisterwerk ohne Konkurrenz.

Es ist Weihnachten in Gotham City und der Pinguin treibt sein Unwesen. Der Unternehmer Max Schreck versucht den Pinguin zum Bürgermeister zu machen um seine Macht zu steigern und dann ist da noch Selina Kyle, die Sekretärin Schrecks, die eigentlich tot sein sollte, aber als Catwoman wiederkehrte.

Kein anderer Comic-Held wurde so vielfältig auf die Leinwand gebannt. Angefangen beim knallbunten Kinder-Batman der 60er Jahre bis hin zum Realo-Batman eines Chris Nolan, und überhaupt ließ selten in der Comic-Geschichte ein Held so viele Freiräume und provozierte förmlich solch unterschiedliche Interpretationen. Vergleiche drängen sich auf und auch ich erliege ihnen öfters, doch letztendlich ist Vielfalt immer etwas Gutes und selbst so eine scheußliche Verballhornung wie der Batman aus Joel Schumachers Filmen genießt eine Existenzberechtigung, schon allein um zu zeigen, wie man es nicht machen sollte.

Die Fangemeinde ist gespalten. Die Gräben sind tief und die Fronten scheinen unvereinbar. Auf der einen Seite steht ein Batman ohne Grandezza, verhärmt und kalt, Teil einer Welt, in der Gotham City eine Stadt unter vielen ist, gefährdet durch organisierte Kriminalität und terroristische Anschläge. Auf der anderen Seite steht ein poetischer Batman mit einer gespaltenen Persönlichkeit, ein vereinsamter Bruce Wayne, der die äußere Welt nur erträgt, wenn er sich eine Maske aufsetzt. Die äußere Welt als isolierter Moloch, ein Metropolis wie eine Bühnenkulisse aus Pappmascheebauten und Kunstschnee. Batman als Oper, könnte man sagen.

Wie sollte man sich da entscheiden? Muss man nicht, aber eines sticht ins Auge. Burton erschuf einen Mythos. Nolan zerschlug ihn. Wo bei Burton die Dualität des Superheldenthemas zentraler Bestandteil der Handlung ist, da scheint es bei Nolan so, dass Christian Bale nur ein Kostüm trägt um nicht erkannt zu werden. Dieser vehemente Unterschied macht deutlich, warum ich Burtons Interpretation mehr schätze.

Natürlich beruht Nolans Sicht auf der Idee, dass Batman gar kein Superheld ist, schließlich besitzt er keine paranormalen Kräfte, aber es sind dennoch nicht nur die Gadgets, die das ausgleichen. Bruce Wayne ist nicht nur eine Ein-Mann-GSG-9-Einheit in exzentrischer Kriegsrüstung, er schöpft seine „Superkräfte“ aus sich selbst, indem er zu dem wurde, was er am meisten fürchtet. Auch Nolan erzählte diese Geschichte in „Batman Begins“, aber er verwarf sie wieder völlig in „The Dark Knight“.

Tim Burton hatte für seine Fortsetzung alle Freiheiten eingefordert und sie auch bekommen. „Batman“ (1989) gab uns nur eine Ahnung, was möglich wäre. Schon hier war Gotham City eine einzigartige Megametropole, irgendwo zwischen „Blade Runner“ und Albert Speer, mit kilometerhohen Wolkenkratzern, die mit ihren schrägen Geometrien an den deutschen Expressionismus erinnern. Dazu erschuf Danny Elfman einen opulenten Klangteppich, der dem dunklen Ritter ein ikonisches Thema schenkte. Batman wurde zum abstrakten Symbol, zum Symbol der Angst für die Schurken und zum Symbol der Rettung für die Bürger.

Doch es ging noch viel weiter. Erst in „Batman Returns“ konnte Burton seine ganze Geschichte erzählen. Schon das Plakat zeigt es eindeutig. Batman, Catwoman und der Pinguin, ihre Porträts wie bei einem Totempfahl übereinander getürmt. Sie sind alle gleich anders, als würden sie auf dem Plakat eine Allianz bilden, eine Allianz aus Freaks.

In Burtons Kosmos nimmt das Andere stets einen hohen Stellenwert ein. Seine Identifikationsfiguren sind abgespalten von der Norm. Sie passen nicht in die Welt. Die schwarz-weiße Gut-und-Böse-Welt vieler Comics verschwimmt hier völlig. In „Batman Returns“ sind die Schurken, wie der Held, Monster. Das „Normale“ kann nur als zweite Identität existieren.

Die Unterschiede zwischen Schurke und Held sind doch nur die Motive. Der Pinguin, hingebungsvoll von Danny DeVito gespielt, bleibt bei Burton eine tragische Figur. Er ist unfähig sich seinem Schicksal zu entziehen und gesteht sich zuletzt ein, lieber das Monster zu bleiben als den Menschen zu spielen, anders als Catwoman und Batman, die bei Tageslicht Bürger sind.

Doch diese Dualität ist schwer zu erhalten. Als Preis für sein Heldenleben nimmt Bruce Wayne ein asoziales Leben in Kauf, mit seinem Butler Alfred als einzigen Freund. Selina Kyle geht es ebenso. Kein Wunder, dass Burton, die zwei zusammen führt. Das dichte Netz der Figuren, ihre Konflikte und Gemeinsamkeiten, für all das, lässt der Film genügend Raum und scheut sich nicht die Action dafür zu vernachlässigen. „Batman Returns“ schöpft seine Spannung nur aus den Figuren und ihren ungelüfteten Geheimnissen, z.B. der Frage wann Selina und Bruce entdecken, dass er Batman und sie Catwoman ist.

Der Zwang jemand anderes zu sein oder sein zu müssen, das ist das Thema vieler Burton-Filme, doch in „Batman Returns“ übersetzt er es in den Superheldenmythos und ringt der Vorlage damit völlig neue Seiten ab. Die Schönheit des Anders-Seins, Burton macht sie erfahrbar und ist damit nah am Helden wie auch am Schurken und im Kern sowieso ganz nah am Menschen.

Wertung: 8,5/10



"Batmans Rückkehr"
US 1992
Tim Burton
mit Michael Keaton, Michelle Pfeiffer, Danny DeVito