Montag, 25. Juni 2012

THE AMAZING SPIDER-MAN

  
Die ewige Wiederkehr des Gleichen, möchte man denken, aber warum sollte das Gleiche nicht auch ein wenig Freude machen? 

Peter Parker (Andrew Garfield) ist überdurschnittlich intelligent und ist für seine Mitschüler dennoch meistens unsichtbar. Er lebt bei seinem Onkel und seiner Tante schon seit er ein kleines Kind ist. Seine Eltern haben ihn unter mysteriösen Gründen damals da gelassen. Als er im Keller eine alte Tasche findet, kommt er den Forschungen seines Vaters auf die Spur und sucht dessen alten Partner Dr. Connors (Rhys Ifans) auf. In seinen Laboren wird Peter von einer Spinne gebissen und entwickelt übermenschliche Fähigkeiten.

Eigentlich möchte man diesen "Spider-Man"-Film nicht mögen. Seit Ankündigung des Neustarts bzw. der Weiterführung des Franchises herrscht ein gewisser Unmut. Der Rebootism in Hollywood ließ sich auch nicht durch originelle Produktionen wie "Inception" drosseln. Viel eher hat man das Gefühl, es ist alles noch viel schlimmer geworden. In den letzten Jahren hat eine Vielzahl an Remakes die Gemüter des Publikums irritiert. Zuletzt war es wohl David Finchers "Verblendung". Wozu das ganze? Das fragt man sich leicht und die Antwort ist leider genauso naheliegend wie banal. Es geht um Geld. Dass hinter einem solchen Projekt immer noch Filmemacher stehen, bestenfalls Filmemacher, die einen gewissen künstlerischen Anspruch verfolgen, darf man dabei natürlich auch nicht vergessen. Letztendlich lautet wahrscheinlich eine Erkenntnis im Bezug auf solche "verfrühten" Neuverfilmungen, dass der Film gefallen könnte, nicht nur wenn er gut ist, sondern wenn man die zugrundeliegenden Filme nicht gesehen hat.

Ich persönlich habe nichts gegen Remakes, grundsätzlich, aber ich kann die Kritik verstehen. Bestenfalls sind diese Filme wirkliche Neuinterpretationen, Filme, die eine andere Sicht wählen, abseits der wünschenswerten Motivation das vorhandene wenigstens zu übertreffen. Ein beliebtes Beispiel dafür bleibt natürlich David Cronenbergs "Die Fliege", die nur noch schemenhaft dem Original ähnelte. Wahrscheinlich liegt die einzige Möglichkeit eines guten Remakes darin, möglichst vom Vorgänger Abstand zu nehmen, auch wenn das ein Dogma ist, aber nur solche Ansätze zeigen Erfolg.

Marc Webb bekam nach seinem Indy-Hit "(500) Days of Summer" die schwere Aufgabe eben dies zu leisten, dabei würde man nie auf die Idee kommen, dass sich Webb mit seinem Debüt für eine Produktion dieser Größe empfohlen hätte. Seine RomCom mit Joseph-Gordon Levitt und Zooey Deschanel in den Hauptrollen war aber so erfolgreich, dass sie Webb einige Anhänger bescherte und wahrscheinlich zielte Sony gerade darauf ab. Webb ist eben nicht Raimi und schon gar nicht Singer oder wie irgendein anderes beschriebenes Blatt unter den Blockbuster-Regisseuren. Die Produzenten gingen ein Wagnis ein und wurde auch belohnt. "The Amazing Spider-Man" ist ein guter Film geworden, obwohl die erwarteten Änderungen nicht so gravierend ausfallen. Sam, Raimis Trilogie fühlte sich zwar visuell der Vorlage verpflichtet, erzählte seine Geschichte aber anders als im Comic. Die neue Sicht, die ich ansprach und die jedes Remake nötig hat, ist hier eine alte, denn im neuen Film wird sich sehr viel stärker an das Comic gehalten, was zwar die Nerds befriedigen, dem gewöhnlichen Zuschauer aber nur ein Schulterzucken abringen wird.

Ok, Spiderman produziert die Spinnenfäden nun nicht mehr in seinem Körper selbst, sondern er nutzt dafür Apparaturen an seinen Handgelenken. Wenn der Film dieses neue Element wenigstens dazu nutzen würde um Spannung zu erzeugen, z.B. wenn ihm die Munition ausgeht, aber das geschieht nicht. Es bleibt ein Nerd-Pleaser. Dafür gibt es andere Änderungen, die dem Film gut tun. Mary Jane gibt es hier noch nicht. Peter Parkers erste Liebe heißt hier Gwen Stacey, was zu einigen Veränderungen zwischen den Figuren führt, was die Handlung zum Glück nicht so vorhersehbar werden lässt. Der Film gibt sich zwar Mühe mit Peters Vergangeheit und dem Schicksal seiner Eltern einen neuen Aspekt in die Reihe einzubringen, nutzt das Potenzial aber wenig und verweist müde auf den nächsten Teil.

Nun gut, es gibt sie schon, die kleinen und großen Unterschiede, aber besonders anders fühlt sich dieser "Spider-Man" nicht an. Die Moral aller Filme - große Macht birgt große Verantwortung - ist auch hier vorhanden. Davon konnte sich das Reboot nicht lösen, was sowieso schwer möglich ist, aber die Eigenständigkeit wird dennoch dadurch beeinträchtigt. Man merkt trotzdem den Willen aller Beteiligten den Film besser als seine Vorgänger zu machen und wie vorhin schon bemerkt "The Amazing Spider-Man" ist kein schlechter Film. Die Schauspieler sind sehr gut. Marc Webbs RomCom-Hintergrund macht sich hier bemerkbar. Andrew Garfield und Emma Stone spielen ein sympathisches junges Paar. Ohnehin sind die beiden eine bessere Wahl als damals Kirsten Dunst und Tobey Maguire. Das Drehbuch gibt den Beziehungen zwischen den Figuren viel Raum und spart sich seine Actionszenen für das große Finale auf. Auch die Entwicklung von Spider-Mans Gegner Lizard-Man ist gut erzählt, obwohl sie sehr stark an Willem Dafoes Rolle im ersten Film erinnert, Rhy Ifans ist aber ebenbürtig.

Wie ich zu Beginn schrieb, man will diesen Film am liebsten nicht mögen, aber Marc Webb macht es uns ziemlich schwer. Er kann mit Raimis visuellem Einfallsreichtum mithalten und hat ein hervorragendes Timing. Besonders schön, dass dieser Filmemacher noch etwas unter dem Wort Suspense versteht, was manchmal besser ist als eine bloße Explosion. "The Amazing Spider-Man" ist also ein typischer Sommerblockbuster mit viel Humor und der allerneuesten Technik. Erzählt wird dagegen nicht viel neues und der Film wird eher denen gefallen, die den Vorgänger nicht kennen. Es bleibt also alles beim alten in Remakehausen. Webbs Film ist kein "Spider-Man 2" und schon gar kein "The Avengers", es ist schlicht ein guter Film.

Wertung: 6/10

"The Amazing Spider-Man"
US 2012
Marc Webb
mit Andrew Garfield, Emma Stone, Rhys Ifans

Sonntag, 17. Juni 2012

BOKSUNEUN NAUI GEOT


Die Brutalität der Totale: In Park Chan-Wooks Auftakt zu seiner Rachetrilogie verirrt man sich leicht in einem Netz aus moralischen Irrwegen, am Ende steht immer das Nichts.

Ryu ist taubstumm und seine Schwester braucht dringend eine neue Niere. Er lässt sich mit der Organmafia ein und verliert nicht nur seine Niere, sondern auch das Geld für die Operation seiner Schwester. Aus einem Akt der Verzweiflung entführt er zusammen mit seiner Freundin die Tochter eines reichen Geschäftsmannes.

Nur wenige Regisseure haben die Nullerjahre des neuen Jahrtausends so geprägt wie Chan-wook Park. Die Speerspitze des südkoreanischen Kinos hat spätestens seit seinem Cannes-Erfolg "Oldboy" Kultstatus. Dabei war dieser Film erst der zweite Teil seiner thematischen Rache-Trilogie. Nach "Oldboy" folgte die intellektuelle "Kill Bill"-Variation "Sympathy for Lady Vengeance". Beide Filme sind virtuose Genrekonstruktionen. Ihre Geschichten spielen in abgeschotteten Welten, deren Verbindung zur Wirklichkeit nur zum Fortführen der Handlung gebraucht wird. "Oldboy" wie auch "Lady Vengeance" leben in ihren ganz eigenen Welten. Davon unterscheidet sich "Sympathy for Mr. Vengeance", also der Beginn von Parks Rachetrilogie erheblich, aber nicht nur das. Wo bei "Oldboy" ein klares Ziel formuliert wird. Der Zuschauer wie auch der Protagonist haben das gleiche Ziel und es ist von vornerein klar, dass der Film mit dem Erreichen dieses Ziels endet. Alles was im Dienste der Handlung steht, konsumiert das Publikum leichter. "Oldboy" nimmt den Zuschauer an die Hand und führt ihn durch ein Meer aus Blut, was an der Kleidung aber nur zur Hälfte kleben bleibt. Diese narrative Klarheit teilt auch "Lady Vengeance". Beide Filme erzählen auf makellose Weise ihre Geschichten, absolut fiktiv, aber nicht fern der Wahrheit.

Nun geht es mir gar nicht darum eine bloße Differenzierung vor zu nehmen, doch auffällig ist, dass eben der erste Film der Trilogie, "Mr. Vengeance", eher verhaltene Reaktionen hervorrief, verständlich bei einem Film, der seinen beiden Nachfolgern kaum ähnelt. Wo bei "Oldboy" die Musik als emotionaler Katalysator dient, verzichtet Park hier so gut wie auf jede Musik und arbeitet lieber mit harten akustischen Schnitten und Bild-Ton-Scheren. "Oldboy" war auch die Geschichte einer Nahaufnahme. Kein Gesicht und dessen Wandel können wir besser beobachten als das Oh-Dae Sus. Grundsätzlich sind wir in diesem Film näher an den Figuren, da Park will, dass wir ihnen vertrauen. Bei "Mr. Vengeance" ist die Nahaufnahme eine Seltenheit. Es regiert die Totale und zwar unnachgiebig. 121 Minuten in denen man glaubt, man könnte die Schnitte an einer Hand abzählen.

Nie kommt Park auf die Idee seine Erzählung zu beschleunigen. Nur in unscheinbaren Momenten springt der Schnitt, wenn es zum Beispiel darum geht, einen Tag zu überbrücken, aber niemals geht es darum das Handeln der Figuren vorweg zunehmen. "Mr. Vengeance" erzählt seine Geschichte abseits bekannter Konventionen. Bis zum Ende des Films kriegt man noch nicht mal raus, wer hier eigentlich der Protagonist ist und nein, es ist kein Episodenfilm. Dieser Film ist, anders als eben "Oldboy", ein Gesellschaftsporträt und setzt sich mit realen Problemen unserer Zeit auseinander. Seine Melodramtik ist nicht zeitlos, obwohl die Kernfragen so alt wie die Menschheit selbst sind. Das Rachethema dient nicht hier nicht nur als bloßes Insistieren von Gerechtigkeit. Was ist denn Gerechtigkeit? Das ist wohl eher die Frage. Wie kann in solch einer Welt überhaupt Gerechtigkeit existieren? "Mr. Vengeance" kommt zu einem rein nihilistischen Schluss. Am Ende, wenn alle Schuldigen tot sind, stellt sich widersprüchlicherweise so etwas wie ein Gefühl von Gerechtigkeit ein. Vielleicht kann sie nur noch so existieren?

Definitv lohnt es sich Parks ersten Rachefilm mehrmals zu sehen, auch wenn das kaum erträglich ist. Keine Einstellung verfehlt in diesem Film hier ihr Ziel und seine distanzierte Erzählung macht die Berge an Leichen und Wannen voll Blut umso unerträglicher. Gewalt hat hier kein Ziel, außer dem eigenen. Als Zuschauer wird man nicht damit befriedigt, dass der oder diejenige für eine "gute" Sache gestorben ist, genauso wenig sind es einfach nur böse Menschen, die das "Recht" hätten zu sterben. Wahrscheinlich ist "Sympathy for Mr. Vengeance" der künstlerisch eindringlichste Film der Trilogie, ein Film den man schwer mögen kann, der dadurch aber umso mehr nachwirkt. Auch ich sehe mir lieber "Oldboy" nochmal an. "Oldboy" ist eben das bessere Kino. "Sympathy for Mr. Vengeance" ist dagegen der bessere Film. Schließlich höre ich sie immer noch, diese Echos der Gewalt und ich kann mir nicht einreden, das hätte nichts mit der Welt zu tun in der ich lebe.

Wertung: 8/10

"Sympathy for Mr. Vengeance"
KR 2002
Chan-wook Park
mit Kang-ho Song, Ha-kyun Shin, Ji-Eun Lim

Montag, 4. Juni 2012

GESEHEN IM MAI 2012


Cosmopolis - 8/10
(CA/FR 2012, David Cronenberg)


The Man Who Wasn't There - 8/10
(US 2001, Joel Coen)


Berlin: Die Symphonie der Großstadt – 7/10
(DE 1927, Walter Ruttman)


La Jetée – 9,5/10
(FR 1962, Chris Marker)


Che? – 3,5/10
(FR/IT/DE 1972, Roman Polanski)


Moonrise Kingdom – 7/10
(US 2012, Wes Anderson)


Oliver Twist – 5,5/10
(CZ/GD/IT/FR 2005, Roman Polanski)


Pirates of the Caribbean - On Stranger Tides – 5/10
(US 2011, Rob Marshall)


Cave of Forgotten Dreams – 6,5/10
(CA/FR/DE/GB/US 2010, Werner Herzog)


Pirates – 5/10
(TN/FR 1986, Roman Polanski)


Frantic – 6/10
(US/FR 1988, Roman Polanski)


Peggy Sue Got Married – 6,5/10
(US 1986, Francis Ford Coppola)

Sonntag, 3. Juni 2012

COSMOPOLIS



Nach seinen letzten kommerziellen Arbeiten, überrascht David Cronenberg mit einem experimentellen Literatur-Film-Hybriden.

Eric Packer ist Achtundzwanzig und Milliardär. Heute will er zum Frisör, doch der Präsident ist in der Stadt und die Fahrt mit seiner Stretchlimo verläuft schleppend. Während seines Trips durch New York verspekuliert er Unsummen an Geld und seine ganze Existenz gerät gehörig ins Wanken.

Um Cronenbergs Bezug zur Literatur zu verstehen, muss man schon sehr weit zurück gehen. Bereits sein Vater war Schriftsteller und Verleger und auch Cronenberg wollte schreiben. Während seines Studiums schrieb er zahlreiche Sci-Fi-Geschichten, die aber schwerlich einen Verleger fanden, dann packte ihn das Kino. Dennoch verfolgen uns seine literarische Vorbilder bis ins Kino. So wagte es Cronenberg William S. Burroughs Kultbuch „Naked Lunch“ (1991) für die Leinwand zu adaptieren, wobei er auf eine genaue Umsetzung verzichtete und einen Burroughs-Mix mit einem Schuss Making-Of ablieferte. Später folgte das Meisterwerk „Crash“ (1996) nach einem Sci-Fi-Roman von James G. Ballard. Cronenberg versetzte die Geschichte in die zeitlose Gegenwart und beraubte sie jeglicher Wertung.

Nun, nach zahlreichen Produktionen für die der Filmemacher nicht das Drehbuch selbst schrieb, kommt nun mit „Cosmopolis“ ein waschechter Cronenberg-Film zurück auf die Leinwand. Auf den ersten Blick scheint es so, doch „Cosmopolis“ ist auch ein DeLillo-Film. Cronenberg adaptierte den Roman in sechs Tagen und übernahm praktisch alle Dialoge des Buchs. Das erste mal also ragt seine Neigung zur Literatur mitten ins Kino hinein, denn jedes gesprochene Wort im Film, klingt wie ein geschriebenes Wort. Waren „Crash“ und „Naked Lunch“ noch äußerst freie Verfilmungen, so ist „Cosmopolis“ mit seiner Vorlage fest verwachsen. Die wenigen Änderungen, die Cronenberg vornahm sind dafür umso stärker spürbar. Manche Begegnungen, die bei DeLillo außerhalb der Limosine spielen, verlegte Cronenberg ins Auto, was die Isolation Packers noch verstärkte. Während die angeblich schalldichte Limo im Roman trotzdem Straßenlärm durchsickern lässt, hört es sich innerhalb Cronenbergs Gefährt wie in einem Tonstudio an, absolute Stille.

All diese Änderungen zielen auf die Verengung und Abkapselung des Raums. In Cannes wurde „Cosmopolis“ oftmals mit dem Theater verglichen. Was beide verbindet ist ihr Mut zur Abstraktion. Im Theaterraum, der an sich schon seine Künstlichkeit nicht verstecken kann, herrschen andere Regeln, ich nenne es Vorurteile, als im Kino. Das Publikum im Theater hat kein Interesse daran die Wirklichkeit auf der Bühne zu sehen, deshalb kann Hamlet auch zeitgenössisch sein und die Schauspieler dürfen wundervoll geschriebene Zeilen sprechen, die im Alltag niemanden über die Lippen gingen. Dennoch funktionieren Theaterstücke. Dennoch können Geschichten erzählt werden. Die viel gelobte Einheit von Raum und Zeit hat damit auch nichts zu tun. Räume im Theater sind so wandelbar und entstehen erst in der Vorstellung. Zeitreisen sind auch kein Problem. Im Vergleich zum Mainstreamkino herrscht im Theater eine andere Freiheit. Cronenbergs experimenteller Ansatz DeLillos Dialoge von Schauspielern sprechen zu lassen und diese mit einer Kamera zu filmen ist daher näher am Theater, weil es sich von den „Regeln“ des gewöhnlichen Kinos emanzipiert.

Ohnehin wirkt „Cosmopolis“ im Vergleich zu Cronenbergs letzten Altherrenarbeiten, „Eastern Promises“ (2007) und „A Dangerous Method“ (2011) ungemein erfrischend und progressiv. In vielerlei Hinsicht ähnelt der Film dem Sci-Fi-Thriller „eXistenZ“ (1999). Auch der war eine kontroverse Überraschung, die man Cronenberg seit „Dead Ringers“ (1988) nicht mehr zugetraut hatte. Der leichte Hang zur Exploitation, der alle seine frühen Filme so unvergleichlich machte, war bei „eXistenZ“ wieder da und ist nun mit „Cosmopolis“ zurückgekehrt. Cronenbergs Kino lässt sich sowieso nicht auf bloße Genres und Stimmungen reduzieren. Irgendwie weiß man es einfach, wenn man sich einen seiner Filme ansieht, was ja auch vor allem daran liegt, dass er schon seit Jahrzehnten mit der gleichen Crew arbeitet.

Sein Hauskomponist Howard Shore versteckt sich recht gut in „Cosmopolis“. Nur in wenigen Momenten tritt der Score in den Vordergrund. Meistens ist es ein Brodeln, dass die Tonspur dominiert. Unterstützung holte sich Shore bei der kanadischen Synthie-Band Metric, die seine Kompositionen in fantastische Klangteppiche verwandelte, die dem futuristisch anmutenden Film gut zu Gesicht stehen.

Die Ironie ist kaum zu übersehen. 2003 veröffentlichte DeLillo den Roman, der sich damals wahrscheinlich noch wie Science-Fiction las, da die Finanzkrise noch in weiter Ferne schien, von der Occupy-Bewegung ganz zu schweigen. Dennoch stand das alles schon im Buch. Heute, mit Cronenbergs Verfilmung, ist das alles gar nicht mehr so prophetisch, eher schon länger aktuell, doch dagegen wehrt sich der Film vehement, alles in ihm. Beginnend bei Shores Zukunftsmusik bis hin zu Carol Spiers Production Design mit Hightech-Waffen und Hightech-Limosinen. Eric Packers Straßenkreuzer ist ein Raumschiff, ein blauglühender Uterus, der Pattinsons Figur von der Außenwelt isoliert und ihn beschützt. Er braucht sein Gefährt nicht zu verlassen, weder um auf Toilette zu gehen, noch um seine Geschäfte zu führen. Sogar der Arzt kommt täglich zu ihm ins Auto und untersucht ihn gründlich. Sie alle steigen ein. führen ihre Gespräche und verschwinden wieder. Es ist eine Bühne.  

Cronenberg hält an der Künstlichkeit dieser Bühne fest und setzt sogar bewusst sichtbar Blue-Screens ein, was schon an Hitchcocks Vorliebe für Rückprojektionen erinnert. Ähnlich wie bei „Dead Ringers“ oder „M. Butterfly“ (1993) nutzt er die literarische Vorlage um die Realität zu überlisten, um nicht genötigt zu sein bloß nachzustellen, was wirklich passiert ist. Deshalb hielt er sich auch so streng an DeLillos Buch und verfilmte es wie Science-Fiction. Cronenberg will keine Antworten zur Krise liefern, genauso wenig will er einfach den Kapitalismus rügen. In „Cosmopolis“ geht es um eine grundsätzliche Veränderung aller Gesellschaften, verursacht durch die Globalisierung, die Medien und eben auch dem Kapitalismus, dessen Gesicht aber verschleiert bleibt. Selbst Eric Packer hat nicht das Zeug zum bösen Buben. Auch er ist ein Opfer des Geldes. Überhaupt fragt man sich während des Films ständig ob da eigentlich irgendwer glücklich ist. So neigt der Film auch dazu keiner Figur wirklich nah zu kommen oder ein Urteil über sie zu fällen, was ja ausdrücklich ein Vorteil sein kann. Dennoch leidet Eric Packers Abstieg darunter, der einfach nur passiert, aber nie wirklich greifbar wird.

Erst in den letzten zwanzig Minuten verdichtet sich „Cosmopolis“ nochmal und lässt den Jungmilliardär auf seine Nemesis Benno treffen, der von Paul Giamatti grandios verkörpert wird. In einem alten Industriehaus, in einem Raum voller Gegenstände, Requisiten aus allen Epochen des zwanzigsten Jahrhunderts, so scheint es, inszeniert Cronenberg ein brillantes Rededuell. Für kurze Zeit steht alles still, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit. In diesem Gespräch geht es um alles und nichts und Ronald Sanders Montage variiert gekonnt das Tempo. Manchmal fällt auf jedem Wort ein Schnitt, manchmal kommt er komplett zum Erliegen, dann verharrt Peter Suschitzkys Kamera und beobachtet die Figuren bis zum fulminanten Schluss. Die beiden größten Kräfte im Kino, Inszenierung und Montage, scheinen hier wirklich in den Händen eines Meisters zu liegen, der demonstriert, dass er nicht nur Schauspieler an ihre Grenzen treibt, sondern auch seine eigene Filmsprache beherrscht und mit ihr wundervoll dichten kann, ganz egal welche Vorlage zugrunde liegt.

Wertung: 8/10


"Cosmopolis"
CA, FR 2012
David Cronenberg
mit Robert Pattinson, Paul Giamatti, Sarah Gadon