Nach seinen letzten kommerziellen
Arbeiten, überrascht David Cronenberg mit einem experimentellen
Literatur-Film-Hybriden.
Eric Packer ist Achtundzwanzig und
Milliardär. Heute will er zum Frisör, doch der Präsident ist in
der Stadt und die Fahrt mit seiner Stretchlimo verläuft schleppend.
Während seines Trips durch New York verspekuliert er Unsummen an
Geld und seine ganze Existenz gerät gehörig ins Wanken.
Um Cronenbergs
Bezug zur Literatur zu verstehen, muss man schon sehr weit zurück
gehen. Bereits sein Vater war Schriftsteller und Verleger und auch
Cronenberg wollte schreiben. Während seines Studiums schrieb er
zahlreiche Sci-Fi-Geschichten, die aber schwerlich einen Verleger
fanden, dann packte ihn das Kino. Dennoch verfolgen uns seine
literarische Vorbilder bis ins Kino. So wagte es Cronenberg William
S. Burroughs Kultbuch „Naked Lunch“ (1991) für die Leinwand zu
adaptieren, wobei er auf eine genaue Umsetzung verzichtete und einen
Burroughs-Mix mit einem Schuss Making-Of ablieferte. Später folgte
das Meisterwerk „Crash“ (1996) nach einem Sci-Fi-Roman von James
G. Ballard. Cronenberg versetzte die Geschichte in die zeitlose
Gegenwart und beraubte sie jeglicher Wertung.
Nun, nach
zahlreichen Produktionen für die der Filmemacher nicht das Drehbuch
selbst schrieb, kommt nun mit „Cosmopolis“ ein waschechter
Cronenberg-Film zurück auf die Leinwand. Auf den ersten Blick
scheint es so, doch „Cosmopolis“ ist auch ein DeLillo-Film.
Cronenberg adaptierte den Roman in sechs Tagen und übernahm
praktisch alle Dialoge des Buchs. Das erste mal also ragt seine
Neigung zur Literatur mitten ins Kino hinein, denn jedes gesprochene
Wort im Film, klingt wie ein geschriebenes Wort. Waren „Crash“
und „Naked Lunch“ noch äußerst freie Verfilmungen, so ist
„Cosmopolis“ mit seiner Vorlage fest verwachsen. Die wenigen
Änderungen, die Cronenberg vornahm sind dafür umso stärker
spürbar. Manche Begegnungen, die bei DeLillo außerhalb der Limosine
spielen, verlegte Cronenberg ins Auto, was die Isolation Packers noch
verstärkte. Während die angeblich schalldichte Limo im Roman
trotzdem Straßenlärm durchsickern lässt, hört es sich innerhalb
Cronenbergs Gefährt wie in einem Tonstudio an, absolute Stille.
All diese
Änderungen zielen auf die Verengung und Abkapselung des Raums. In
Cannes wurde „Cosmopolis“ oftmals mit dem Theater verglichen. Was
beide verbindet ist ihr Mut zur Abstraktion. Im Theaterraum, der an
sich schon seine Künstlichkeit nicht verstecken kann, herrschen
andere Regeln, ich nenne es Vorurteile, als im Kino. Das Publikum im
Theater hat kein Interesse daran die Wirklichkeit auf der Bühne zu
sehen, deshalb kann Hamlet auch zeitgenössisch sein und die
Schauspieler dürfen wundervoll geschriebene Zeilen sprechen, die im
Alltag niemanden über die Lippen gingen. Dennoch funktionieren
Theaterstücke. Dennoch können Geschichten erzählt werden. Die viel
gelobte Einheit von Raum und Zeit hat damit auch nichts zu tun. Räume
im Theater sind so wandelbar und entstehen erst in der Vorstellung.
Zeitreisen sind auch kein Problem. Im Vergleich zum Mainstreamkino
herrscht im Theater eine andere Freiheit. Cronenbergs experimenteller
Ansatz DeLillos Dialoge von Schauspielern sprechen zu lassen und
diese mit einer Kamera zu filmen ist daher näher am Theater, weil es
sich von den „Regeln“ des gewöhnlichen Kinos emanzipiert.
Ohnehin wirkt
„Cosmopolis“ im Vergleich zu Cronenbergs letzten
Altherrenarbeiten, „Eastern Promises“ (2007) und „A Dangerous Method“ (2011) ungemein erfrischend und progressiv. In vielerlei
Hinsicht ähnelt der Film dem Sci-Fi-Thriller „eXistenZ“ (1999).
Auch der war eine kontroverse Überraschung, die man Cronenberg seit
„Dead Ringers“ (1988) nicht mehr zugetraut hatte. Der leichte Hang zur
Exploitation, der alle seine frühen Filme so unvergleichlich machte,
war bei „eXistenZ“ wieder da und ist nun mit „Cosmopolis“
zurückgekehrt. Cronenbergs Kino lässt sich sowieso nicht auf bloße
Genres und Stimmungen reduzieren. Irgendwie weiß man es einfach,
wenn man sich einen seiner Filme ansieht, was ja auch vor allem daran
liegt, dass er schon seit Jahrzehnten mit der gleichen Crew arbeitet.
Sein Hauskomponist
Howard Shore versteckt sich recht gut in „Cosmopolis“. Nur in
wenigen Momenten tritt der Score in den Vordergrund. Meistens ist es
ein Brodeln, dass die Tonspur dominiert. Unterstützung holte sich
Shore bei der kanadischen Synthie-Band Metric, die seine
Kompositionen in fantastische Klangteppiche verwandelte, die dem
futuristisch anmutenden Film gut zu Gesicht stehen.
Die Ironie ist kaum
zu übersehen. 2003 veröffentlichte DeLillo den Roman, der sich
damals wahrscheinlich noch wie Science-Fiction las, da die
Finanzkrise noch in weiter Ferne schien, von der Occupy-Bewegung ganz
zu schweigen. Dennoch stand das alles schon im Buch. Heute, mit
Cronenbergs Verfilmung, ist das alles gar nicht mehr so prophetisch,
eher schon länger aktuell, doch dagegen wehrt sich der Film
vehement, alles in ihm. Beginnend bei Shores Zukunftsmusik bis hin zu
Carol Spiers Production Design mit Hightech-Waffen und
Hightech-Limosinen. Eric Packers Straßenkreuzer ist ein Raumschiff,
ein blauglühender Uterus, der Pattinsons Figur von der Außenwelt
isoliert und ihn beschützt. Er braucht sein Gefährt nicht zu
verlassen, weder um auf Toilette zu gehen, noch um seine Geschäfte
zu führen. Sogar der Arzt kommt täglich zu ihm ins Auto und
untersucht ihn gründlich. Sie alle steigen ein. führen ihre
Gespräche und verschwinden wieder. Es ist eine Bühne.
Cronenberg hält an
der Künstlichkeit dieser Bühne fest und setzt sogar bewusst
sichtbar Blue-Screens ein, was schon an Hitchcocks Vorliebe für
Rückprojektionen erinnert. Ähnlich wie bei „Dead Ringers“ oder „M. Butterfly“ (1993) nutzt er die literarische
Vorlage um die Realität zu überlisten, um nicht genötigt zu sein
bloß nachzustellen, was wirklich passiert ist. Deshalb hielt er sich
auch so streng an DeLillos Buch und verfilmte es wie Science-Fiction.
Cronenberg will keine Antworten zur Krise liefern, genauso wenig will
er einfach den Kapitalismus rügen. In „Cosmopolis“ geht es um
eine grundsätzliche Veränderung aller Gesellschaften, verursacht
durch die Globalisierung, die Medien und eben auch dem Kapitalismus,
dessen Gesicht aber verschleiert bleibt. Selbst Eric Packer hat nicht
das Zeug zum bösen Buben. Auch er ist ein Opfer des Geldes.
Überhaupt fragt man sich während des Films ständig ob da
eigentlich irgendwer glücklich ist. So neigt der Film auch dazu
keiner Figur wirklich nah zu kommen oder ein Urteil über
sie zu fällen, was ja ausdrücklich ein Vorteil sein kann. Dennoch
leidet Eric Packers Abstieg darunter, der einfach nur passiert, aber
nie wirklich greifbar wird.
Erst in den letzten
zwanzig Minuten verdichtet sich „Cosmopolis“ nochmal und lässt
den Jungmilliardär auf seine Nemesis Benno treffen, der von Paul
Giamatti grandios verkörpert wird. In einem alten Industriehaus, in
einem Raum voller Gegenstände, Requisiten aus allen Epochen des
zwanzigsten Jahrhunderts, so scheint es, inszeniert Cronenberg ein
brillantes Rededuell. Für kurze Zeit steht alles still, Zukunft,
Gegenwart und Vergangenheit. In diesem Gespräch geht es um alles und
nichts und Ronald Sanders Montage variiert gekonnt das Tempo.
Manchmal fällt auf jedem Wort ein Schnitt, manchmal kommt er
komplett zum Erliegen, dann verharrt Peter Suschitzkys Kamera und
beobachtet die Figuren bis zum fulminanten Schluss. Die beiden größten
Kräfte im Kino, Inszenierung und Montage, scheinen hier wirklich in
den Händen eines Meisters zu liegen, der demonstriert, dass er nicht
nur Schauspieler an ihre Grenzen treibt, sondern auch seine eigene
Filmsprache beherrscht und mit ihr wundervoll dichten kann, ganz egal
welche Vorlage zugrunde liegt.
Wertung: 8/10
"Cosmopolis"
CA, FR 2012
David Cronenberg
mit Robert Pattinson, Paul Giamatti, Sarah Gadon
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