"Der Junge ist Kommunist. Der Vater ist Bestatter. Leitet die Mutter eine Leprakolonie?"
Es erstaunt immer wieder, wie es Woody
Allen, mittlerweile 76 Jahre alt, schafft jedes Jahr einen neuen Film
auf die Leinwand zu bringen. Früher war das ja noch einfacher. Heute
erfordert es aber weit mehr Kraft einen Film auf den Weg zu bringen,
ihn also praktisch überhaupt drehen zu können, was man in
besonderen Ausprägungen ja an den Zeitspannen zwischen den Filmen
Paul Thomas Andersons oder Terrence Malicks sehen kann. Nur Woody
Allen, bei ihm scheint die Zeit stehen geblieben, er dreht unbeirrt
weiter und erfreut und ärgert uns gleichermaßen jedes Jahr aufs
neue.
Im amerikanischen Kino nahm Allen schon
immer eine Sonderstellung ein, was nicht nur an seiner topografischen
Distanz zur Traumfabrik liegt, sondern auch an seiner starken
Verbundenheit zum europäischen Kino. So etwas wie Woody Allen, das
konnte nur während des „New-Hollywood“ entstehen und während
vieler seiner Kollegen seit Ende der Achtziger nur noch ein Schatten
ihrer selbst sind, liest sich Allens Filmografie mehr wie ein
Aufstieg der Karriereleiter. Allen ist heute weitaus populärer als
Francis Ford Coppola und Co. Die Leute gehen gerne in seine Filme.
Damit sind auch die Kritiker gemeint. So ähnlich war es wohl früher
als man in einen Hitchcockfilm ging. Man wusste worauf man sich
einstellen konnte. Allen ist Marke, Künstler und Produzent, ein
Auteur, dessen Filme man bereits von weitem erspäht. Seit Anfang des
neuen Jahrtausends sind Woodys Filme besonders erfolgreich. Seit
seiner Neuorientierung mit „Match Point“, wo zuerst die
Filmkritik verdutzt glotzen musste, wird jeder neue Film mit der Lupe
beäugt. Mit „Midnight in Paris“ drehte er letztes Jahr sogar
seinen größten Publikumserfolg und kam mal wieder in die
unangenehme Lage einen Oscar zu gewinnen.
Nach so einem Film warten nun umso mehr
Zuschauer auf das neue Werk des New Yorkers, der seine Europareise
filmisch weiterführt. Nach London, Barcelona und Paris, ist nun also
Rom an der Reihe. Im Vergleich zu seinen vorherigen europäischen
Filmen erzählt Allen „To Rome with Love“ als klassischen
Episodenfilm. Alle Geschichten sind miteinander verwoben und drehen
sich, wie bei Woody Allen gewohnt, um Beziehungen, Kunst, den Tod,
Vernunft und Gefühl. Da gibt es z.B. ein provinzielles junges
Ehepaar, das nach Rom ziehen will. Als sich die Frau (Alessandra
Mastronardi) in der Stadt verirrt, muss ihr verklemmter Ehemann
(Alessandro Tiberi) aus Verzweiflung mit einer Prostituierten
(Penélope Cruz) zur reichen Verwandtschaft und sie als seine Frau
ausgeben. Neben vielen italienischen Stars, u.a. Ornella Muti und
Roberto Benigni, hat Allen natürlich wieder zahlreiche
Hollywood-Sternchen für seinen Film gewinnen können, von Legenden
wie Alec Baldwin und Judi Davis bis hin zu Newcomern wie Jesse
Eisenberg, Greta Gerwig und Ellen Page.
Hinter Allens Starrummel verbirgt sich
allerdings nicht nur ein kommerzieller Gedanke. Wieder kommt die
Verbindung zu Alfred Hitchcocks Kino in den Sinn, der Stars für
seine Filme dringend brauchte um seine Figuren zu füllen.
Schauspieler wie Cary Grant oder James Stewart waren bei Hitchcock
immer auf die Rollen abonniert, die ihrem Image entsprachen. So
brauchte er sich im Film nicht mit unnötiger Figurenzeichnung
belasten. Die Stars füllten ihre Rollen automatisch aus. So ähnlich
ist es auch bei Woody Allen. Jesse Eisenberg jedenfalls spielt wie
erwartet den gehemmten Intellektuellen, der in ein Gefühlschaos
geschleudert wird. Roberto Benigni verkörpert wortwörtlich den
Durchsnittsitaliener, der von einem Tag auf den anderen zum
Prominenten wird. Der Slapstick und Klamauk der Rolle ist auf ihn
zugeschnitten. Umso klarer wird Allens Cast beim eigentlichen
Besetzungscoup des Films. Es ist Woody Allen selbst. Seit sechs
Jahren Leinwandabstinenz ist „To Rome with Love“ der erste Film
in dem er mal wieder den Neurotiker spielt. Natürlich muss gesagt
werden, dass dieser Besetzungsstreich beim restlichen italienischen
Cast nur bedingt gelingt. Dafür wirken diese Charaktere mehr im Film
verankert, wie für ihn geboren also, da sie nicht aus ihm
herauswachsen.
Bleiben wir aber bei Woody Allens
Figur, die archetypisch für sein komplettes Werk steht. So viel sei
gesagt, wenn man viele seiner Filme kennt und mag, so entwickelte man
über die Jahre eine Art Verbundenheit mit dieser Figur, so ist es
auch gerade dieser Charakter, der im Film quasi wie ein Katalysator
funktioniert. Sobald man Allen das erste Mal wieder sieht, werden
Erinnerungen wach. Man wird sentimental und lacht herzhaft, ganz egal
was er sagt. Die Besetzung in diesem Film ist ein Vorzeigebeispiel
wie man mit Stars angemessen umgeht. Sie sind Selbstläufer und so
erstaunt es nicht, dass auch „To Rome with love“ fast wie von
selbst läuft. Die Dialoge drehen sich um gewohnte Inhalte und sind
dennoch urkomisch. Die Figuren wirken wie aus der Retorte,
funktionieren aber trotzdem bis ins Mark genau. Klar, es gibt
Geschichten, die sind besser gelungen als andere. Das passiert den
meisten Episodenfilmen. Schade ist nur, dass man das Gefühl bekommt,
Woody Allen hätte der uninteressantesten von ihnen die meiste
Screen-Time geschenkt. Die Dreiecksgeschichte um Eisenberg, Page und
Gerwig, bekommt zwar durch Baldwins surrealistische Auftritte einen
gehörigen Schuss Ironie, aber spannender wird sie dadurch trotzdem
nicht, geschweige denn aufschlussreicher. Dennoch kann man sich in
diesem Lustspiel wunderbar amüsieren. Allen weiß immer noch welche
Knöpfe er zu drücken hat, doch irgendwie hat man auch das Gefühl
er drücke nur abgenutzte Knöpfe.
Das ist kein neuer Anklagepunkt in
Woodys Strafverzeichnis. Das gehört dazu, wenn man ein Auteur ist.
Dafür weiß ja auch das Publikum mit was es rechnen kann, wenn es
das Kino betritt, so wie bei Hitchcock. Allerdings hat sich die
britische Regielegende stets einen Spaß daraus gemacht diese
Erwartungen zu unterlaufen. Bei den meisten Hitchcockfilmen hatte man
danach das Gefühl etwas neues gesehen zu haben. Das kann man von
Allens neuem Film nicht sagen. Wie schon gesagt: „To Rome with
Love“ ist ein tolle Komödie. Niemand wird hier schreiend aus dem
Kino stürmen, aber gerade so nistet sich Allens Film in der Nische
der berüchtigten Wohlfühlfilme ein, diese ominöse Schnittmenge an
Filmen, wo sich makelloses Handwerk und inhaltliche Reibungsfreiheit
vereinen, im Grunde die Erfolgsformel kommerzieller Arthousefilme.
Keine schräge Zeitreise wie bei „Midnight in Paris“ oder
schwergewichtige Dramatik ala „Match Point“. Vielleicht ist es
auch ein bisschen zu viel verlangt von einem Regisseur sich jährlich
bei jedem Film neu zu erfinden, aber ich schütte trotzdem Salz in
die Wunde, gerade weil man damit rechnen muss, dass es Woody Allen
bald nicht mehr geben wird. Dann reißt die Kette jährlicher
Allenfilme einfach so ab, urplötzlich und ohne Vorwarnung. Also ganz
ehrlich: Welcher Regisseur will einen Film wie „To Rome with Love“
als sein Vermächtnis haben?
Erschienen bei CinemaForever
Wertung: 5,5/10
"To Rome With Love"
USA/IT/ES 2012
Woody Allen
mit Alec Baldwin, Penélope Cruz, Roberto Benigni
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